Drei Frauen im R4
nix.«
Misstrauisch überlegte ich, welcher fiese Trick sich dahinter verbergen könnte. Lock die alte Schachtel mit einer Umarmung aus dem Auto und reiß ihr dann die Geldbörse weg. Zu viele Geschichten dieser Art hatte ich schon gehört.
Der Junge grinste mich weiter unbekümmert an und bedeutete mir, doch auszusteigen, damit er mich endlich umarmen konnte. Wie durch ein Wunder ließ genau in diesem Augenblick der Regen ein wenig nach, und über dem Fluss zeigten sich die ersten Farben eines Regenbogens. Ich betrachtete mir das Spiel der Farben, klammerte mich aber weiter am Lenkrad fest, als wäre ich mit ihm verwachsen.
»Hey!«, rief der Student, der er sicher war. »Ein Regenbogen. Cool!« Er warf beide Arme in die Luft, als wollte er nun nicht nur mich, sondern auch den Himmel umarmen.
»Hey! Koscht nix, is frei!«, wiederholte er geduldig und drehte sich zu mir. »Ist ganz umsonst.«
»Und was soll das?«, fragte ich vorsichtig durch das Seitenfenster, das ich immerhin inzwischen geöffnet hatte.
»Das kommt aus Australien«, erklärte der Junge eifrig. »Da machen die das schon seit 2004. Das ist keine Kampagne oder so, sondern soll mehr Liebe und Freundlichkeit in die Welt bringen. Also, lass dich umarmen!«
Trotz meiner Vorbehalte stieg ich aus und wurde sofort fest in den Arm genommen. Irgendwie löste das etwas in mir, und es tat sehr gut. Der Junge fühlte sich stark und fest an, gar nicht wie ein Softie. Der Regen hatte seiner Jacke nicht viel angehabt, weil die Jacken von heute gut imprägniert sind.
»Hey, ich bin Joshi«, stellte sich der Junge mit jetzt leiser Stimme vor. »Schön, dich gefunden zu haben!« Schon umfasste er mich wieder und drückte mich an seine Brust, die sich durchtrainiert und kräftig anfühlte.
»Ist super, oder?«
Er war gerade achtzehn Jahr, fast noch ein Kind mit weichem Haar, ein Mann zum Lieben, sang Dalida mir ins Ohr. Ein wenig verlegen löste ich mich von Joshi und vertiefte mich schnell in den Zettel, den er mir reichte. Etwas länger als nötig studierte ich die Geschichte der Bewegung. Verunsichert fühlte ich, dass mich das gar nicht interessierte und ich eigentlich nur eines wollte: wieder zurück in Joshis Arm.
»Noch mal?« Er las meine Gedanken, und ich nickte und ließ mich zart aufnehmen und kuschelte mich – Himmel, wie peinlich – förmlich an seinen Hals. Über seine Schulter, auf der anderen Seite der Reuss, entdeckte ich jetzt noch mehr junge Männer und Frauen, die Schilder in der Hand hielten und wildfremde Menschen umarmten. Eine fröhliche Umarmungsarmee war dies, die sich spontan auf sich wundernde Passanten stürzte. Durch den Dunst, den der Regen hinterließ, beobachtete ich, dass sich auch andere Menschen erst zögerlich, aber dann freudig in den Arm nehmen ließen.
»Und darf ich dich auch mal umarmen?«, fragte ich Joshi unsicher und erinnerte mich daran, dass man dem Glück öffnen soll, wenn es an die Tür des Lebens klopft. Ich glaub, ich hab mich verknallt, dachte ich und konnte es nicht fassen, was ich fühlte.
»Hey! Du machst das gut!«
Joshi löste sich von mir und hielt mich ein Stückchen von sich weg.
»Und du riechst gut!«
Das war das Lavendelöl, mit dem ich mich am Morgen eingerieben hatte.
Joshi strahlte über das ganze Gesicht. Seine Augen waren offen, wach und lebendig. Nach all dem Regen und meinen inneren Kämpfen tat es unglaublich gut, dass da ein Mensch war mit Wärme und Lachen. »Hey! Willst du ein bisschen bei uns mitmachen?«
Wenn nur nicht dieses »Hey!« immer gewesen wäre. Ausgelassen winkend zeigte er zu den anderen, auf der anderen Seite der Brücke, und ausgelassen winkten sie zurück. Ich blieb noch ein bisschen sehr nah bei ihm stehen, um ihm und mir die Gelegenheit für einen neuen Hug zu geben. Ist doch unglaublich, was ich hier alles erlebe, dachte ich, und das Besondere der Situation stieg mir wie spanischer Rotwein in den Kopf, und zwar die Flasche mit dem güldenen Netz.
»Okaaay«, antwortete ich gedehnt. Warum eigentlich nicht?, redete ich mir gut zu. Wir hatten das früher nicht gemacht, aber es hätte gut in unsere Zeit gepasst. Ich hab nichts zu verlieren!, dachte ich weiter und ließ es willig zu, dass Joshi mich an der Hand nahm und über die Brücke führte. Schon liefen die Umarmer auf uns zu und taten, als sei ich eine von ihnen und wieder zwanzig wie sie. Die Mädchen staunten über die Buttons, die an meiner Folklorebluse steckten, und riefen: »Krass!«, oder:
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