Drei Frauen im R4
»Genial!«
Meine Haare hatte ich zum Glück noch kurz vor der Abreise gefärbt. Das war mir plötzlich ganz wichtig gewesen, obwohl es überhaupt nicht öko war. Wieder wurde ich umarmt, und alle riefen mir ihre Namen zu: Lizzi, Bissi, Ungi, Oshi, Maschi.
Das mit der Endung solle so sein, erklärte mir ein junges Mädchen, das sich mir als Sissi vorstellte. Nicht sie als Menschen sollten in Erinnerung bleiben, sondern auf die Free-hugs-Bewegung kam es an. »Es ist nicht wichtig, wer einen umarmt hat, sondern dass man umarmt wurde. Verstehst du?«
Mir war das zugegebenermaßen nicht egal, denn obwohl sich alle in dieser Gruppe gut anfühlten, wollte ich am liebsten noch einmal von Joshi in die Arme genommen werden. Ich beobachtete ihn heimlich, wie er auf einer Treppenstufe saß und sich eine Zigarette drehte. Nur dies eine Mal, nur ein bisschen naschen und noch mal Küsse kosten, bevor ich gänzlich verknittert, alt und unansehnlich bin, machte ich mir Mut. Wenn das Nele und Renate wüssten, dachte ich. Und ich brannte darauf, meinen Freundinnen alles zu erzählen.
Joshi saß mit einem anderen Jungen auf den Stufen. Sie steckten die Köpfe zusammen und nickten aufgeregt. Mit diversen Hand- und Klatschritualen schienen sie etwas zu besiegeln. Ich fühlte mich sehr besonders, als Joshi gleich danach aufsah und auf mich zukam. »Wir gehen auf den Berg, machen dort eine große Sonnenuntergangsumarmung. Kommst du mit?«
»Hey«, hauchte ich, und mein Herz schlug mir bis zum Hals. Wie kann das so schnell gehen, fragte ich mich. Wie ist das möglich? Und ich fühlte mich wie angeknipst,wie Nele diesen Zustand immer nannte.
»Hey, das wär doch geil«, umarmte mich ein Mädchen, und ich grinste breit, weil sie nach Zelt, Nele und Renate roch. Aufgedreht schnappte ich mir ein Schild und schlenderte auf eine Passantin zu. Als hätte ich das schon hundert Mal gemacht, breitete ich meine Arme aus, und tatsächlich, die Spaziergängerin ließ sich von mir umarmen. Es war genial, es war ein Wunder. Ich überlegte einen Moment. Das Free-hugs-Schild war das ideale Friedensangebot für Nele und Renate.
»Meinst du, ich kann so eins mitnehmen?«, fragte ich einen Jungen, der sich mir als Maiki vorgestellt hatte. Dann erzählte ich ihm und Joshi von dem Streit mit meinen Freundinnen und dass sie auf dem Campingplatz auf mich warteten. Während die anderen die Schilder zusammenpackten, wurde mir klar, dass ich dies alles niemals für mich alleine genießen konnte. Nicht ohne meine Freundinnen. Ich erklärte schnell, dass eine verrückte Nacht wie diese für mich nicht ohne die geht, die ich am meisten liebe.
Die beiden Jungs fanden, dass ich unbedingt zu ihnen zurückfahren und die Lage klären sollte.
»Ich komm mit!«, erklärte mir Maiki, der von meinen inneren Grabenkämpfen nicht die geringste Ahnung hatte. »Dann können sie nicht lange sauer auf dich sein«, erklärte er. »Und wenn sie noch sauer sind, dann erzähle ich Häsliwitze, des ischd mei Spezialität.«
Häschenwitze!
»Kommt ein Häschen zum …«, legte Maiki los. Ich sah es vor mir. Renate würde brüllen vor Lachen. Als Überraschungsmoment würden die Witze wirken, und das überzeugte mich so, dass ich Maiki einpackte und mit ihm zurück zum Zeltplatz fuhr.
»Das wird genial«, erklärte er mir. Er fingerte Auto und Kassetten ab. »Genial!« Seine Anwesenheit beschwor in mir dieses Bild herauf von der einen Wiese, die wir immer aufsuchten, um das Leben und die Liebe zu feiern. »Genial wird das!«
Und so saß ich, ehe ich mich’s versah, wieder hinter Fuchurs Steuer, mit einem jungen Mann auf dem Beifahrersitz.
Als ich mit ihm losfuhr, drehte ich mich um, und Joshi sah mir nach. Er winkte mir, und dann, ich konnte es fast nicht glauben, warf er mir auch noch eine Kusshand zu.
»Und was macht ihr hier?«, fragte Maiki, als wir aus Luzern rausfuhren.
Es strahlte aus mir heraus. »Ich mache hier mit meinen Freundinnen den schönsten Urlaub unseres Lebens!«
»In der Schwiiiz?«, erkundigte er sich. »Wo doch alle Individualisten immer nur weiter nach Italien wollen.« Er nickte wissend zu mir herüber. »Weißt du, in Italien gibt’s nämlich noch ganz ächte Kooperativen!«
Kapitel 10
Schon so lang
- Hannes Wader -
»Wir setzen uns jetzt in das Boot«, entschied Renate und zog energisch einen alten Kahn ans Ufer. »Es gibt noch allerhand auszusprechen und zu klären, bevor wir einen auf heile Welt und Umarmung machen.« Während meiner
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