Drei Frauen im R4
sind doch auch deine Kinder.«
Renate umarmte mich. Trotzdem traf sie unbeabsichtigt einen ganz wunden Punkt, denn diesen Satz hatte auch mal ein Mann zu mir gesagt, der mich heute auf der Straße wortlos übersah.
»Ich muss jetzt auch was loswerden.« Obwohl mein Mund vor Aufregung ganz trocken war, fasste ich mir ein Herz. »Ich erzähl auch was. Das hier ist so schwierig für mich, weil ich nichts von dem habe, was sonst meinen Alltag bestimmt. Das Telefon klingelt, und ich bin in Kontakt. Die Mails ploppen auf, und ich weiß, wofür ich lebe. Jemand stellt eine Besprechung mit mir im Kalender ein, und ich weiß, ich habe etwas zu sagen. Ständig kommen von außen Anfragen, und ich habe gar nicht mehr mitbekommen, dass ich darauf nur noch reagiere. Ich muss funktionieren, aber seit wenigen Stunden weiß ich nicht mehr genau, wofür. Meine eigenen Tagebücher waren mir dabei wie ein Spiegel. Da bin ich nun dreißig Jahre älter und noch immer nicht da angekommen, wohin ich einst aufgebrochen bin. Pfft.« Ich stieß die Luft aus, als wäre ich ein Ballon, der sich erst leeren musste, um sich dann wieder ganz zu füllen.
»Aber dabei hilft dir doch auch kein Internet«, versuchte es Renate mit einer Mischung aus hilflos, unverständig und verzweifelt. Nele gab ihr ein Zeichen, dass sie mich ausreden lassen sollte.
»Aber«, sagte ich unter Tränen, »es hält mich am Leben.« Ich war selbst verwundert über diesen Satz. Mails von irgendwelchen Kollegen und fernen Freunden hielten mich am Leben? Ich versuchte, die Sache für die beiden und auch für mich selbst in Worte zu fassen. »E-Mails zum Beispiel geben mir das Gefühl, dass ich doch nicht so unnütz bin, wie ich mir manchmal im Job vorkomme. Das ist so ein Männerverein, der nur auf Zahlen und Profit aus ist. Die sprechen von der Frauenquote, aber eigentlich wollen sie überhaupt keine, weil es schöner ist, unter sich zu sein.«
Ich machte eine Pause und schaute Nele dabei zu, wie sie mit der Hand im Wasser spielte.
»Kenn ich«, sagte sie dazu. »Mir macht es auch keinen Spaß, dass auf einmal Männer im Kindergarten arbeiten wollen. Die bringen nur alles durcheinander.«
Wenigstens konnten wir jetzt ein wenig lachen.
»Das einzig Gute an dem Job ist«, fuhr ich fort, »dass ich mir hier und da ein bisschen Luxus leisten kann. Für mich ist das eine Motivation, und darüber hinaus bin ich vielleicht auch noch verwöhnt.« Renate und Nele holten Luft. »Und wenn ich keine Erbsensuppe aus der Dose essen will, dann will ich das eben nicht. Ich habe ein Recht darauf, das nicht zu mögen, und ich möchte, dass ihr das respektiert. Was ist so ungewöhnlich daran, zu arbeiten und sich dafür auch mal was zu gönnen? Die Schweiz ist teuer, klar, aber wir arbeiten alle drei. Wir könnten mal mit dem Dampfer fahren oder mit der Zahnradbahn, und wenn wir schon nicht auf dem Matterhorn Sekt trinken, dann doch wenigstens auf dem Matthorn, das gibt’s nämlich auch, und das ist gar nicht weit weg.«
»Komm mal her.« Renate rutschte zu mir in die Mitte des Bootes, es wackelte beträchtlich, aber wir hielten einander fest, und ich heulte mir die Seele aus dem Leib und schluchzte, und Renate weinte auch, während Nele sich eine weitere Zigarette drehte.
»O. k., dann kommt jetzt wohl mein Part«, sagte Nele, als wir uns ein bisschen beruhigt hatten. Renate und ich blickten erstaunt auf, denn solch deutliche Ansagen kannten wir von Nele nicht.
»Ich weiß, ich gehe euch mit meinem Sparzwang tierisch auf die Nerven.« Renate wollte schon protestieren, aber Nele bremste sie. »Doch, Renate, dir auch. Aber es ist so«, Nele zündete die Zigarette an, und ihre Hände zitterten leicht. »Das ist keine Marotte, und auch wenn ihr das denkt, es macht mir keinen Spaß.« Plötzlich brach ihre Stimme, und Tränen traten ihr in die Augen.
»Nele«, sagte ich hilflos, aber sie wehrte ab und sprach weiter.
»Ich bin komplett pleite und stehe vor der privaten Insolvenz.«
Sie barg ihr Gesicht in den Händen und schluchzte laut auf. Renate und ich sahen uns erschrocken an.
»Alles wird den Bach runtergehen. Wenn Sarah das rauskriegt, dann bring ich mich um. Ich schäme mich so. Alle schaffen es, beruflich weiterzukommen und von ihrer Arbeit zu leben, und ich arbeite Tag und Nacht, und ich traue mich nicht mal mehr, die Rechnungen zu öffnen. Ich fürchte mich vor jedem Umschlag, denn ich kann sie nicht bezahlen.«
»Moment, was bist du?« Renate hatte sich als Erste wieder
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