Drei Frauen im R4
gefangen. »Sag das bitte noch mal.«
Nele schluchzte. »Ich bin pleite. Ich bin insolvent. Eigentlich müsste ich das längst melden. Verschleppung nennt man das sonst.«
»Ach was«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Bei Privatleuten gibt es doch keine Insolvenzverschleppung. Oder?«
Renate zuckte mit den Achseln. »Ist doch auch egal«, sagte sie und nahm Nele in den Arm. »Aber wie ist das denn passiert, du arbeitest doch im Kindergarten.«
»Ja, ich arbeite«, antwortete Nele unter Tränen. »Aber von dem kleinen Erzieherinnengehalt kann doch kein Mensch leben. Dauernd sind wir unterbesetzt, und die Eltern fordern immer mehr. Dazu die Elternabende, die Samstagsveranstaltungen, wir mussten sogar den Kindergarten selber streichen, alles für das bisschen Geld. Ich würde ja noch einen Nebenjob annehmen, damit ich die Rechnungen bezahlen kann, aber wann denn? Wenn ich freihabe, dann lege ich mich hin und schlafe sofort ein. Ich habe gar keine Kraft mehr, ich kann nicht noch eine zweite Arbeit annehmen. Aber so komme ich nie von den Schulden runter. Davon, dass ich meinem Kind ab und zu mal was zustecken will, ganz zu schweigen. Und für mich, na ja, ich würde mir auch gern mal was gönnen. Verdammte Hacke, ich bin fünfzig Jahre alt. Wie lange soll ich denn noch sparen?«
Wieder schämte ich mich. Die ganze Zeit war ich genervt gewesen, weil ich dachte, dass Nele auf dem 80er-Spar-Trip war. Aus reiner Linientreue heraus. Und Linientreue konnte ich nun mal nicht leiden. Aber dass sie tatsächlich in Geldnot war, erschreckte mich. Warum hatte ich das nicht gemerkt?
»Es macht mir keinen Spaß, die Sparfüchsin in unserem Trio zu sein. Nein, es gibt keine Croissants, sondern Brot vom Vortag. Nein, wir gehen nicht ins Kino, und schon gar nicht in der Schweiz. Nein, wir parken das Auto abseits, weil es nicht so viel kostet. Nein, wir fahren nicht mit dem Taxi, sondern mit dem Bus. Und wisst ihr was?« Nele blickte auf und sah erst Renate an, dann mich. »Die paar Kröten, die ich in die Kasse getan habe, das war alles, was ich hatte. Ich habe es niemandem gesagt. Weder meiner Tochter noch meinem Süßen, und euch auch nicht. Wahrscheinlich habe ich es die ganze Zeit verdrängt. Aber nun spitzt sich auf einmal alles zu.«
»Aber uns hättest du doch etwas sagen können. Wieso hast du das nicht getan?«, fragten Renate und ich wie aus einem Mund.
»Weil ich nicht konnte.« Nele nahm ein Taschentuch aus der Tasche und schnäuzte sich heftig.
Ich überlegte fieberhaft, wie ich Nele helfen konnte. Was war da geschehen? Warum hatte ich nichts gemerkt? Hatte ich mich in der letzten Zeit zu sehr um mich selbst gedreht?
»Ich hab noch zwanzig Euro«, sagte ich. »Die würde ich gern mit euch teilen.«
Nele lachte. Es war ein Lachen unter Tränen, und sie nahm meine Hand. »Ist schon gut.«
»Ich hab dich lieb«, sagte ich, wie ich zuvor schon Renate meine Liebe erklärt hatte.
»Ich dich auch«, gab sie schniefend zurück.
»Wenn wir wieder zurück sind, dann schauen wir drei uns die Sache an«, entschied Renate, und ich war natürlich sofort dabei. »Das kann ja nicht so weitergehen. Wir holen dich aus den Schulden raus.«
Aber Nele heulte nur noch mehr. »Ach, ihr seid immer so strukturiert und wisst sofort, was zu tun ist. Renate, du hast drei Kinder und alles mit Bravour gemeistert. Immer bist du dir treu geblieben, immer warst du auf dem rechten Weg.«
»Ach, Mädels«, mischte ich mich ein. »Ich glaube, jede von uns kann irgendwas oder hat irgendwas, was die anderen gern könnten oder hätten.«
»Und ich bin alles andere als auf dem rechten Weg!« Nun weinte Renate wieder. »Ich hab euch noch gar nicht alles gesagt.«
Nele und ich sahen sie erstaunt an.
»Was ist denn noch?«, fragte ich.
»Was noch ist?« Renate drückte unsere Hände, und wir rückten ein wenig enger zusammen, so gut es ging in dem schaukelnden Kahn.
»Ich hab euch die ganze Zeit was vorgemacht«, gestand sie leise.
Nele runzelte fragend die Stirn.
»Ich hab euch was vorgemacht, weil ich nicht drüber reden wollte. Ich bin gar nicht so männerscheu.«
»Sag bloß.« Ich musste lachen. Wenn es weiter nichts war, dann war ja alles gut. Das Boot schaukelte leise, vom Ufer schmalzte Julio Iglesias Amor, Amor, Amor .
Auch Nele bog sich vor Vergnügen, und wir johlten ehrlich und laut in den Luzerner Himmel hoch.
»Hört doch mal auf«, sagte Renate gekränkt. »Ich bin noch gar nicht fertig. Und es fällt mir gerade nicht
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