Drei Frauen im R4
leicht.« Es war nicht zu übersehen, wie sie sich quälte. Einerseits wollte sie offen mit uns sein, andererseits hatte sie wohl auch eine Menge Vorbehalte. Nach Sekunden, die sich wie Minuten anfühlten, war sie endlich mit den inneren Kämpfen durch: »Ich hab ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann. Wir lieben uns seit einem Jahr.«
»Seit einem Jahr?«, entfuhr es Nele. »Und wir haben nichts gemerkt?«
»Genau genommen seit elf Monaten«, stellte Renate richtig. »Er ist Olivers Eishockeytrainer. Irgendwann hat es einfach gefunkt. Bei den Spielen habe ich ihn gar nicht wahrgenommen, und weil seine Frau rasend eifersüchtig ist, unterhält er sich mit den Müttern immer nur ganz kurz. Dann sind wir uns zufällig in der Stadt begegnet, ich hatte eine Frage, wir sind einen Kaffee trinken gegangen, und er erzählt mir nebenbei, wie absurd ihm die Eifersucht seiner Frau erscheint. Wir haben uns gut unterhalten und prächtig amüsiert. Und dann haben wir uns angesehen, und plötzlich war klar, dass seine Frau allen Grund hatte, eifersüchtig zu sein. So fing es an. Wäre seine Frau nicht eifersüchtig, hätte sie nie mit ihrem Mann darüber gesprochen, wer weiß, ob wir jemals etwas miteinander angefangen hätten.«
»Renate, Renate«, sagte ich, »ich glaub, ich brauch einen Schnaps.«
»Und hat er ihr schon was gesagt?«, wollte Nele wissen.
»Nein, es ist der Klassiker. Sie haben zwei Kinder und ein verschuldetes Haus. Seine Schwiegermutter sitzt im Rollstuhl, und bei seiner Mutter wurde gerade Diabetes diagnostiziert. Also die besten Voraussetzungen für ein Techtelmechtel nebenbei. Wir sehen uns jede Woche, wir stehlen uns ein paar Stunden und behaupten, dass Trainings oder Besprechungen anstehen. Zu mir können wir nicht, weil Oliver da ist, zu ihm können wir nicht wegen seiner Familie. Ich kenne schon sämtliche Hotels in der Umgebung, und es ist furchtbar und furchtbar schön. Aber in den letzten Tagen ging es mir ziemlich elend, denn er ist mit seiner Familie in Urlaub gefahren, und ich habe keine Ahnung, wie es ihm geht. Solche Familienurlaube sind für eine Geliebte ja sehr bedrohlich.«
»Na ja«, warf ich ein, »viele Beziehungen zerbrechen auch im Urlaub. Die meisten Trennungen passieren doch im Urlaub oder unterm Weihnachtsbaum.«
»Ich hänge total in der Luft«, gestand Renate. »Nicht mal simsen können wir uns. Wer weiß, wie er gerade zu mir steht. Ich schäme mich vor mir, ich schäme mich vor euch, ich schäme mich vor meinen Kindern. Ich kann seiner Frau nicht in die Augen sehen, wenn sie ihn abholt und wir uns auf dem Schulhof treffen.«
»Das ist ja ein Ding«, sagte Nele. »Und ich wollte unbedingt mit dir nach Italien fahren.«
»Was hat denn diese Geschichte mit Italien zu tun?«
»Wegen diesem Maurizio oder wie der hieß. Ich geb’s ja zu, ich hoffte, ihr würdet euch wieder ineinander verlieben. Alte Liebe rostet nicht, so heißt doch dieser alte Spruch.«
»Ach du liebe Zeit!« Renate lachte überrascht. »Maurizio. Der ist sicher verheiratet und hat mindestens fünf Kinder.«
Nun drehte sich Renate eine Zigarette, und eine Weile hingen wir alle unseren Gedanken nach.
Und während auch Nele nach dem Tabak griff, erklärte ich in die Weite des Sees hinein, dass auch ich noch längst nicht fertig war. Ich spürte Neles und Renates Augen, aber ich sah nicht hin, sondern beugte mich über das Boot und ließ eine Hand ins Wasser gleiten. Dann eröffnete ich ihnen, was ich selbst erst seit ein paar Minuten wusste. »Ich hab keinen Job mehr.«
»Was meinst du damit?«, fragte Renate. »Wie, du hast keinen Job mehr? Seit wann?«
Nele war entsetzt. »Um Gottes willen, was ist denn los? Wann hast du den Job verloren?«
Aber ich blieb ganz ruhig und sagte: »Jetzt, in diesem Augenblick.«
»Jetzt?«, fragten sie wie aus einem Munde.
»Ja, ich habe mich eben entschieden. Ich werde kündigen. Ich werde nie wieder in so einem Unternehmen arbeiten, wo Zahlen wichtiger sind als Menschen und wo Frauen eh keine Chance haben. Nie mehr. Ich will was ganz anderes machen.«
»Was hast du vor?«, fragte Renate.
»Ich habe viele Möglichkeiten«, sagte ich. »Und ich glaube, einige davon sind in meinem Tagebuch von 1981 notiert.«
Eine Zikade zirpte laut am Ufer. Und Renate sang auf einmal ganz leise You’ve got a Friend von Carole King. Das war unser Lied, und gerührt stimmten Nele und ich ein. Wir schaukelten zu dritt im Boot, summten, hielten uns an den Händen, weinten,
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