Drei Frauen im R4
haben, was haltet ihr davon?«, versuchte Renate die Regeln aufzuweichen.
»Sorge dich nicht – läbä!«, machte uns Maiki klar und umarmte jede von uns. »Warum wollt ihr jetzt so viel planen? Wir fahren erst einmal auf den Berg. Vielleicht geht es danach nach Amerika? Oder Moskau? Oder ihr fahrt einfach wieder heim?«
Wie auf Befehl schraubte Nele die Dose wieder zu. Sie war mit den Vorschlägen nicht ganz zufrieden, weil sie Pläne einfach gern zu Ende bringt. »Wie sieht das denn aus«, schimpfte sie sehr leise, »wenn wir Tage unterwegs sind und es nicht mal nach Italien schaffen. Wo doch alle auf dem Fest gehört haben, dass dies das Ziel der Reise ist. Eine Blamage wäre das.«
»Kommt ein Häsli …«, versuchte Maiki sie schnell aufzumuntern, doch mit einem erbosten »Nein!!« bremsten ihn Nele, Renate und ich im Chor.
Nach einer weiteren halben Stunde Fahrt standen wir auf der abgelegenen Bergwiese. Ein großes Lagerfeuer loderte vor dem indigoblauen Himmel, jemand legte Musik auf. Der Himmel hinter den Bergen war blutrot eingefärbt, und noch immer leuchtete die Sonne nach. Sehr majestätisch verschwand sie zwischen zwei Gipfeln und warf dabei ein paar letzte goldene Strahlen auf die Wiese. Alle umarmten sich. Ich fand mich in Joshis Armen wieder, und wir küssten uns so leidenschaftlich, wie ich es die letzten Jahre nur im Fernsehen gesehen hatte.
»Ups«, sagte ich und schluckte.
»Ups«, lachte er und drückte mich fester an sich.
Renate, die neben mir stand, warf mir einen vergnügten Blick zu und stupste Nele in die Seite. Wir waren glücklich, hier auf dieser Wiese, die voll war mit glücklichen jungen Menschen. Die Umarmungen würden zwar nicht die Welt retten, aber sie würden sie zu einem besseren Ort machen, wenn auch nur für einen kurzen Moment.
»Ich muss dir gestehen, dass ich schon über vierzig bin«, sagte ich zu Joshi.
Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und antwortete erstaunt: »Oh, dann bist du noch so ein kleines Mädchen?«
Ich hatte dieses Gefühl, das Joni Mitchell in Both sides now perfekt einfing. Mein Herz ging sehr weit auf, während die Liebe auf diesem Berg pulsierte und die vielen Menschen sich schattenrissartig unter einem dunkelblauen Himmel bewegten. Das Leben war sehr jung und sehr romantisch in diesem Augenblick. Weit weg war Mannheim, weit weg sogar unser Aufbruch, all die Kontrolle, mein Alltagskorsett, alles ganz weit weg. Lächerlich das Auto, mit dem ich sonst fuhr, seine Ledersitze und die Garage, die dazugehörte. Lächerlich mein Chef, lächerlich die Dinge, die wir in Konferenzen stundenlang besprachen. Es war gut, dass ich damit abgeschlossen hatte. Und ich erzählte Joshi nicht viel von mir und wollte nichts von ihm wissen. Manche Stunden sind geschenkt, und man weiß es in dem Augenblick, in dem man sie erlebt. Ich fühlte das Leben und die Aufbruchsstimmung in mir.
Als wir uns zu einem großen Kreistanz rund um das Feuer trafen und Fips vor Freude kläffte, da wurde mir mit einem Mal bewusst, dass in der Rotkreuzstation von mir unbemerkt eine neue Zeitrechnung begonnen hatte. Manchmal bekommt man es erst später mit, wenn etwas Großes im Leben passiert. Diesmal würde ich die Botschaft nicht verpassen und gleich mit an Bord sein, wenn es auf große Fahrt ging. Als wir dann, um den Abend zu beenden, Nehmt Abschied, Brüder als kleiner Chor in einer großen Bergwelt sangen, da sah ich die Zukunft schon nicht mehr ungewiss, sondern wollte Möglichkeiten, um sie ab jetzt für mich zu gestalten. Sehr müde und sehr fröhlich trollten wir uns von dem Berg, nicht ohne dass Joshi und ich in eine tiefe Umarmung fielen und uns für den nächsten Tag verabredeten.
Weil wir von all dem Rotwein, der in großen Flaschen um das Lagerfeuer gekreist war, blau wie die Schlümpfe waren, hatte Maiki uns ins Tal begleitet. Obwohl er keinen Führerschein besaß und, wie ich zu riechen meinte, mindestens eine Tüte Gras verköstigt hatte. Er hatte sich auf den ersten Blick in Renates Grübchen verliebt, die sie beim Lachen zeigte. Auch Renate war mit dem jungen Häsliwitzeerzähler schon ganz vertraut, und was machte es da schon, dass er schwul war und ohne Führerschein fuhr. Je mehr Renate lachte, desto mehr Witze kramte er aus seiner Mottenkiste, und es nutzte nichts, dass Renate immer wieder »Halt ein! Halt ein!« rief, denn ihre Vergnügtheit kurbelte Maiki erst richtig an. Sogar Manta-Witze kamen ihm in seinen blauen Kopf, die er aber nicht erzählen
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