Drei Generationen auf dem Jakobsweg
und das sagte mir, dass auch sie sich langsam ein wenig ausgepowert fühlte. Die Regenponchos konnten wir wieder ausziehen, denn außer den paar Tropfen Regen kam nichts mehr. Peter blieb heute immer ein Stück hinter uns und so vermutete ich, dass er ein bisschen alleine sein wollte. Als wir den endlos langen Feldweg entlangmarschierten, sahen wir plötzlich ungefähr 100 Meter vor uns einen Mann mit einer Kutte. Er schlurfte nur mit einer Tragetasche, die ihm am langen Riemen über der Schulter hing, ganz langsam, den Kopf tief geneigt, vor uns her. Meine Tochter und ich wussten nicht genau, was wir von ihm halten sollten, und so warteten wir erst einmal auf Peter. Dieser lachte über unsere doch betretenen Gesichter und meinte, das wird wohl ein Bettelmönch sein, der den Jakobsweg entlangschlendert. Na ja, wenn du meinst. Jetzt nahmen wir wieder unser gewohntes Tempo auf, und als wir schnellen Schrittes an ihm vorbeigingen, hob er ganz langsam seine Hand und, so denke ich halt, segnete uns. Dabei sprach er aber kein Wort. Im Vorbeigehen sahen wir, dass sein Kopf kahlrasiert und sein Gesicht von der Sonne braun gebrannt war. Mal zog er seine Kapuze über den Kopf, mal schob er sie wieder nach hinten. Sein schlurfender Gang kam nicht etwa von seinem Alter (er dürfte erst etwa 35 Jahre alt gewesen sein), sondern daher, dass er an den Füßen alte Filzhausschuhe trug, die am Rist mit einem Reißverschluss geschlossen wurden. Da ihm die Filzschuhe zu klein waren, hatte er kurzerhand die Ferse abgeschnitten und Pantoffeln daraus gemacht. Die Pantoffeln waren aber immer noch zu klein und seine nackte Ferse setzte bei jedem Schritt am Boden auf. Irgendwie war uns die Situation etwas unbehaglich und so legten wir automatisch Tempo zu.
Kurz vor Santo Domingo de la Calzada erreichen wir eine Lagerhalle mit kleinen Fahrsilos für Kartoffeln und Getreide. Gegenüber war eine kleine Mauer, auf die wir uns setzten, um uns ein wenig zu stärken. Langsam kam auch der »Bettelmönch« an. Er legte seine Tasche auf die Mauer, ging in eines der Silos, grub in der Erde und kam mit ein paar Kartoffeln in den Händen zurück. Er sah nach oben, breitete seine Arme mit den Kartoffeln aus, dankte seinem Herrgott und verstaute die Kartoffeln in seiner Tasche, in der sich ansonsten nur noch eine Plastikflasche mit Wasser befand. Anschließend drehte er sich eine Zigarette und rauchte diese genüsslich.
Nachdem wir uns ausgeruht hatten und wieder aufbrechen wollten, ging Peter zu dem Mönch, weil er ihm 5 Euro schenken wollte. Mit ausgestrecktem Arm wollte er dem Mönch das Geld reichen, der sofort aufsprang und mit »No, no« das Geld abwehrte. Peter sagte: »Nun Bruder, nimm schon, ich gebe es dir gerne .« Da antwortete dieser auf Deutsch, dass er ein deutscher Bettelmönch der Dominikaner sei und nur Almosen annehmen dürfe. Er erzählte, dass er vor einiger Zeit schon mal an diesem Platz vorbeigekommen war und hier, so wie heute, ein paar Kartoffeln gefunden hatte. Diese würde er dann auf seinem weiteren Weg essen. Zum Abschied drückte ihm Peter noch die 5 Euro in die Hand und sagte ihm, dass er das Geld als Almosen annehmen solle. Der Mönch bedankte sich anschließend bei Gott, dass es solche Menschen gibt. Als wir aufbrachen, gab er uns noch seinen Segen. Fast musste ich Abbitte leisten, denn ich hätte einen doch sehr interessanten Menschen fast in die Schublade »verrückt« gelegt. Wieder einmal wurde mir klar, dass es doch sehr unterschiedliche Lebensmuster und Lebensformen gibt. Ich schämte mich fast ein bisschen, da ich für kurze Zeit meinen Leitspruch, der heißt, urteile nie über einen Menschen, in dessen Schuhen du noch nicht gestanden hast, vergessen hatte . Plötzlich sagte Peter, wir sollten uns sputen, sonst bekämen wir keine Zimmer mehr.
Er hatte recht . Die Anzahl der Fußpilger wie auch der Rad fahrenden Pilger nahm schon fast bedrohlich zu. Zumindest die Radfahrer sausen heute wieder, teilweise in Gruppen von mehr als zehn Leuten, lautstark an uns vorbei. Heute wurde mir auch schlagartig klar, warum so viele Wanderer mit leichtem Gepäck marschieren. Das sind solche, die sich die Koffertrolleys von Hostal zu Hostal vorausbringen lassen und nur mit Lunchpaket und Wasserflaschen ausgerüstet unterwegs sind. Organisierte Busreisen eben. Auch die Busunternehmer haben den Jakobsweg als Einnahmequelle entdeckt. Diese, wie ich denke, »Pseudopilger«, lassen sich frühmorgens vom Hostal zum Eingang des Caminos
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