Drei Irre Unterm Flachdach
Paketschnüre mußten in voller Länge erhalten bleiben, damit man sie wiederverwenden konnte. Großmutter ging zum Angriff über. »Herrjott, Täve, nu nimm doch die Schere!« »Quatsch nicht dämlich! Für Strippe werfen wir kein Geld zum Fenster raus!« knallte Großvater ihr an den Kopf.
Später wickelten wir die Schnüre zu Knäueln auf. Danach durften wir das Packpapier glätten, falten und der Größe nach stapeln. Großmutters Packpapier wurde immer glatter als meins, denn sie setzte sich drauf und rutschte auf dem Parkett rum. »Ick fahre Bus!« teilte sie uns mit und ahmte ein Motore n geräusch nach. Wenn ich versuchte, Bus zu fahren, zerriß mir das Papier unter dem Hintern. Eine dramatische Auseina n dersetzung mit Großvater folgte. Also strich ich es mit den Händen glatt, was ke i nen Spaß machte und viel anstrengender war. Ich beneidete Großmutter.
Großvater überprüfte den Inhalt der Pakete auf Vol l ständigkeit und machte auf den beigele g ten Verzeichnissen mit einem Rotstift kleine Häkchen. Wenn alles stimmte und wir mit dem Wickeln, Glätten und Fa l ten fertig waren, gab es endlich die Geschenke.
Um Mitternacht wurde ich ins Bett geschickt, dabei hatte ich längst nicht alles ausgepackt. »Vorfreude ist die schönste Freude!« dozierte Großvater, und ich haßte ihn dafür. Schließlich freute ich mich schon seit W o chen vor.
Durch die Tür hörte ich, wie Gustav und Wilma stritten, ob man der Ostve r wandtschaft, die zu Großmutter gehörte, aus den Wes t paketen was abgeben sollte. Großvater war dafür, alles zu beha l ten, denn mit Wilmas Familie hatte er nichts am Hut. Großmutter sprach von einem Strumpfhose n koller und erwähnte mehrmals ihre Schwester Mimmi, die Frau von Mongolei-Egon. Großvater meinte, Mimmi solle nichts abbekommen von den Strumpfhosen, weil sie so wertvolle Geschenke nicht zu schätzen wisse. Überall mußte er sich einmischen, der alte Tyrann. Aus Großmutters Kle i derschrank quollen indessen Feinstrumpfhosen in den grausigsten Fleischfarben, obwohl sie gar keine mochte. Man konnte nicht hinsehen, wenn sie he k tisch eine Strumpfhose am Bein hochzerrte und fauchte: »Mann, Mann, Mann, dit Jefummel!« Oft machte sie sie schon beim ersten Anzi e hen kaputt. Trotzdem wurden es immer mehr. Als wir nach ihrem Tod den Schrank ausräumten, stellte sich raus, daß sie auch die löcherigen Strumpfhosen aufgehoben hatte.
Jedenfalls setzte Wilma sich durch und sorgte dafür, daß Schwester Mimmi von den Strumpfhosen doch welche abbekam. Selbst Onkel Egon kriegte schlie ß lich irgendwas, obwohl der nun wirklich mit nichts zufri e den war.
Silvester
»Jetzt hör doch mal auf mit dem Blödsinn!« Großvater bewarf mich mit Knaller b sen. Er hatte sich die Hosentaschen seines dunkelbraunen Kordsamtanzugs d a mit vollgestopft und lauerte hinter dem Vorhang. Wenn ich an ihm vorbeikam, bombardierte er mich mit den Kügelchen, die einen Höllenlärm machten. Der ehemalige KZ-Häftling spielte Krieg. »Zaaack, bumm, Vol l treffer!« krakeelte er. Er konnte keinen Krach ertragen, aber das hier machte ihm offenbar Spaß. Sicher sah es komisch aus, wie ich zusammenzuc k te, und Gustav stand mal wieder im Mittelpunkt. Aus der Küche rief Großmutter: »Nu laß ihn doch bißchen rumba l lern! Is nur einmal im Jahr Silvester!« Das Geballere ging aber schon eine W o che und würde auch im neuen Jahr noch andauern. Großvater hatte einen Vorrat von dreißig Schachteln Knallerbsen angelegt. Eine Schachtel hob er auf, damit er übers Jahr bei passender Gel e genheit ballern konnte. Mir gab er nichts ab von den Knallerbsen.
Am Tag vor Silvester schlug er Nägel in die Stämme unserer Apfelbäume. Der Rasen war mit Löchern übersät, in denen leere Bierflaschen steckten. Alles Vorbereitungen auf sein Fe u erwerk, für das er jedes Jahr an die hundert Mark au s gab. Der kleine Zeitungsladen neben Drogerie-Punzel verkaufte seinen Warenb e stand an Knallern und Raketen hauptsächlich an Gustav Voss. Er war immer der erste. Hinter ihm wartete eine Schlange aufgebrachter Leute, die, nachdem Großvater sich mit Knallkörpern eingedeckt hatte, mit einer Packung Wunde r kerzen abziehen mußten. Herr Voss war nicht beliebt in Blankenburg, er schnappte den Frauen die Watte und den Männern die Böller weg.
Silvester installierte er die erworbene Pyrotechnik. Sonnenr ä der, Goldregen, Silberschweife, alles wurde an die Nägel gehängt. Die leeren Flaschen dienten als Abschußra
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