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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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von allen Müttern und Gro ß müttern die zierlichste mit den schönsten Beinen, weil sie beim Ballett war.
    Ich liebte die seltenen Ausflüge in die Karl-Marx- Allee, wo Nellys Mamu wohnte und wo es das wunderbare Couscous gab, von dem man essen konnte, soviel man wollte. Alles war dort anders als bei uns. Kronleuchter, goldenes Ke r zenlicht, Rotwein – auch für die Kinder ein Glas – und dazu traurige französische Li e der, die sie Chansons nannten. Die Erwachsenen wandelten mit dem Weinglas in der Hand durch Oma Mamus herrschaftliche Gemächer, und wie zur Unterm a lung der Musik knarrte beim Lustwandeln leise das spiegelblanke Parkett. Nelly und ich wa n delten auch, und Marc, Nellys Cousin, warf mir verliebte Blicke zu. Er hatte schwarze Locken. Nelly war acht, ich war zehn, Marc war dreizehn.
    Großvater und Großmutter waren niemals mit zum Cou s cous-Essen bei Mamu. Ich war froh da r über, denn vor allem Großmutter paßte nicht so richtig in die vornehme Gesel l schaft. Sie mochte keine französischen Chansons mit »Tu l lidöh und Tullijöh«, wie sie es nannte, sondern hörte lieber Bully Buhlan oder sang Stimmungslieder. Mit Großvater wäre es vie l leicht noch gegangen, aber er aß lieber Krabben und Huhn anstatt ausländischen Couscous.
    In der Karl-Marx-Allee war alles echt. Der Stuck an der Decke, die Kronleuc h ter, der goldene Spiegel im Flur – wahrscheinlich war er aus Algerien – und n a türlich die Locken von Marc, die sich wie Mutters falscher Zopf im Nacken kri n gelten.
    Wir hatten auch schöne Räume und Parkett, nur war bei uns fast nichts echt, angefangen mit Großmutter. Sie hatte dieses künstliche Gebiß und trug lieber Perücken, weil sie zu faul war, sich ordentlich die Haare zu kämmen. Erst viel später verpaßte ich ihr einen Kurzhaarschnitt – er war pflegeleicht und schick.
    Unser Stuck bestand aus Pappe, die Kirchenfenster waren imitiert und die goldenen Türgriffe an den Schränken aus bemaltem Blech. Statt Couscous kochte Gro ß mutter Königsberger Klopse oder Blutwurst. Die Blutwurst wurde in dicke Scheiben geschnitten und in die Pfanne geklatscht. Dann wurde sie vergessen und brannte an. Weil das Lüften verboten war, Großvater heizte, wie er sagte, nicht für den Garten, roch es noch tagelang nach verbrannter Blutwurst. Und Königsberger Klopse konnte Großmutter auch nicht. Sie schmec k ten nach nichts.
    Wenigstens mit ihrer ostpreußischen Heimatspeise hätte sie sich mehr Mühe geben können. Aber was waren Klopse aus Os t preußen schon gegen Couscous aus Algerien!
    Nelly sagte eines Tages stolz: »Ich bin Vierteljüdin, wußtest du das schon?« Nein, das hatte ich noch nicht gewußt, aber es klang interessant. Sie tippte sich an die Nase: »Deshalb ist die auch so groß und krumm.« Stimmt, Nellys Nase war groß und krumm. Doch auch die Nase ihrer Mutter sah so aus und die ihrer Großmutter Mamu erst recht. Über Machnitzkis Nasen hatte ich noch nie nac h gedacht. Außerdem stand auf Großvaters Schreibtisch ein Foto me i ner Mutter, auf dem auch sie eine große, krumme Nase hatte. Nur hatte Mutter ihre Nase irgendwann von einem Chiru r gen zertrümmern lassen, weil sie ihr nicht gepaßt hatte. Auf dem Foto sah sie wunderschön aus. Genauso schön wie Nellys Mutter und deren Mutter Mamu.
    Die stolze Nelly erklärte weiter: »Ich bin Vierteljüdin, weil meine Mutter Halbjüdin ist und meine Großmutter Vol l jüdin.« Donnerwetter! Die Juden hörten Chansons, aßen Couscous und waren so vornehm und schön wie Nellys Mutter und deren Mutter Mamu. Sie waren was ganz Besonderes. Und auch Nelly war, wenn man zweimal hinsah, ziemlich hübsch. Trotz oder gerade wegen ihrer Nase, da war ich mir nicht ganz sicher.
    Es lag also nicht nur an Algerien und Ostpreußen, daß unsere Großmütter so verschieden waren. Meine Großmutter war weder schön noch fein, also das Gegenteil von jüdisch. Beim Couscous-Essen in der Karl- Marx-Allee genierte ich mich am meisten für meine Familie. Nichts hatte ich zu bieten als einen durc h geknallten Kommunistenopa und eine unmögliche Oma, die billige Schlager grölte und sich immer danebenb e nahm.
    Dafür hatte mir Großvater die Fahne mit dem goldenen Stiel gebastelt, das konnte die Couscous-Oma ganz sicher nicht. Und Großmutter konnte zwar keine Klopse kochen, aber sie konnte das Gedicht vom Klops und hatte es mir beig e bracht: »Ick sitze da und esse Klops, uff eenmal klops. Ick kieke, staune, wundre mir, uff eenmal jeht

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