Drei Irre Unterm Flachdach
se uff, die Tür. Nanu, denk ick, ick denk, nanu, jetzt isse uff, erst war se zu. Ick jehe raus und kieke, und wer steht draußen? Icke!« Nein, man mußte nicht gleich alles wegschmeißen für Couscous!
Und manchmal, wenn sie sich für eine Feier beim Dem o kratischen Fraue n bund zurechtmachte, sah Großmutter sogar manie r lich aus. Vorausgesetzt, sie hatte sich gekämmt.
»Weißt du, was ich bin?« fragte ich eine Woche später Nelly. »Ich bin Vie r telkommunistin.« Nelly grinste. »Mein Großvater ist Vollkommunist, deshalb war er im KZ. Meine Mutter ist Halbko m munistin. Sie war nicht im KZ, ist aber in der SED und hat in Moskau studiert. Und ich bin Vie r telkommunistin, weil ich von beiden abstamme. Um Viertelkommunistin zu sein, braucht man nicht mal eine krumme Nase.«
Nelly grinste nicht mehr. Mit einer so stichhaltigen Begründung meines Viertelkommuni s tentums hatte sie nicht gerechnet. Zum ersten Mal hatte ich Nelly, die sonst quasselte wie ein Wasserfall, zum Schweigen g e bracht. Einige Tage später sagte sie: »Aber wenn man Viertelkommunist ist, muß man sich auch so bene h men.« »Das tue ich ja«, antwortete ich. »Ich lege einmal im Jahr im KZ Sachsenhausen eine Blume nieder, zum Gedenken an die Opfer des Faschi s mus.«
Was ich Nelly verschwieg, war, daß ich sie trotzdem noch um ihr Vierteljudentum beneidete und um die schöne vollj ü dische Großmutter. Und daß ich mich, auch als selbsternannte Viertelkommunistin mit geler n tem Klopsgedicht, nicht halb soviel wert fühlte wie Nelly.
Erziehung
Seitdem ich denken kon n te, stritt Großvater mit Vater, wie man ein Kind richtig erzieht. Vater stellte mich in ein Laufgitter, weil ich ihm auf die Ne r ven ging. Ich fing an zu schreien. Großvater hob mich aus dem Laufgitter und nahm mich auf den Schoß. Vater stellte mich zurück. Ich schrie. Gro ß vater nahm mich wieder raus. Vater stellte mich wieder hinein. Raus, rein, raus, rein, raus, rein. Die be i den betrieben die bizarre Sportart, bis Gro ß vater nachgab, weil er am Ende seiner Kräfte war. Vater hatte den Kampf gewonnen, und Großvater verließ wu t schnaubend die Arena. Er war es nicht gewohnt, der Verlierer zu sein. Inzw i schen schrie ich wie am Spieß und störte erst recht. Vater ließ mich schreien. Er erzog g e rade, mit aller Konsequenz. Die Folge meiner Brüllerei kann man heute noch sehen. Es ist ein Nabe l bruch.
Großmutter bestätigte meine Erinnerung. Sie sagte, ich sei schon zu groß g e wesen für ein Laufgitter, aber noch zu klein, um alleine drübe r zuklettern. Fieser Trick, aber äußerst praktisch.
Großvater verabscheute Vaters Erziehungsmethoden. »Ich dulde diesen mil i tanten Ton nicht!« donnerte er und nannte Papa einen Feldwebel, Unmenschen und grauenhaften Kinderschreck. Vater verbot Großvater den Mund. Eine Einmischung in die Erzi e hung seiner Tochter kam für den Kinderschreck überhaupt nicht in Frage.
Wenn Vater nicht da war, war alles ganz anders. Dann konnte ich tun und lassen, was ich wollte. Großvater machte diesen E r ziehungsquatsch nur, wenn er mit dem verhaßten Schwiegersohn stre i ten konnte. Dann gerieten Tyrann und Kinderschreck heftig aneinander, denn Vater war genauso zäh und unnachgiebig wie Großvater.
Sonst war Gustav hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt. Er hatte es nicht mal gemerkt, als ich, vierjährig, einen ganzen Nachmittag ve r schwunden war, um mit Ziegen-Oskar S-Bahn zu fahren. Wir fuhren fünf Stationen und stiegen dann aus. Als Zi e gen-Oskar mich in die Straßenbahn schubsen wollte, biß ich ihn in die Hand. Vor Straßenbahnen fürchtete ich mich. Wir vertrugen uns wieder und fuhren zurück nach Bla n kenburg, wo wir in die Bahnhofskneipe gingen. Der Wirt kannte Zi e gen-Oskars Vater gut, weil der ihn jeden Tag besuchte. Jetzt bekamen wir zum Dank dafür zwei große Gläser Faßbrause g e schenkt. »Übung macht den Meister, wat!« sagte der Wirt, dessen Vorname Tresen- Atze war, das hatte mir Ziegen-Oskar verraten. Wir sahen uns Zeitungsbilder an. Ich saugte a b wechselnd am Strohhalm und an meinem rosa Nuckel. Ziegen-Oskar n u ckelte nicht mehr.
Großmutter hatte als erste bemerkt, daß ich weg war. Sie suchte mich bei den Nachbarn, dann im ganzen Ort. In der Bahnhof s kneipe sah sie nicht nach mir. Gustav war zu Hause geblieben, um die Jauchegrube auszupumpen, Wilmas Panik übe r trug sich erst am Abend auf ihn.
Die beiden riefen verzweifelt meinen Namen. Ich hörte sie schon, als wir
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