Drei Irre Unterm Flachdach
»Er hat dich so geliebt!«
Mein Mann ist VdN
Wilma Voss war anarchi s tisch, außergewöhnlich, ein Unikum. Sie machte, was sie wollte, und ließ sich von niemandem reinreden. Der einzige, der sie veruns i chern und aus der Fassung bringen konnte, war ihr Gatte Gustav. Wenn er sie eine dumme Gans nannte und behauptete, sie rede Unsinn, bekam sie ein nerv ö ses Flackern in den Augen. Doch weil sie kein bißchen nachtragend war, war nach fünf Minuten alles vergessen und Wilma wieder ganz die toughe Lady vom DFD.
Ich guckte mir eine Menge von ihr ab. Sie feierte gern, tanzte ausgelassen, trank mit Bauarbeitern Bier und Wodka. Seit der schweren Mage n operation war sie extrem dünn geworden und trug nur noch enge Jeans. Mit den gräßlichen Stonewashed-Schlauchhosen und ihren ewig ung e kämmten Haaren sah sie aus wie ein Penner. Am liebsten sang sie Schlager aus den Fünfzigern: »Deine Klingel ist kaputt, h u hu, wirf den Schlüssel runter, denn die Tür ist zu, huhu!« Von Feten in der Nachbarschaft kam sie beschwipst nach Hause. »Ick hab die janze Bande untern Tisch jesoffen. Die halten ja alle nüscht mehr aus heutzutage!« Sie hatte mit sieben Männern »Laurenzia« getanzt, stunde n lang, und einen Wodka nach dem andern gekippt. Irgendwann tanzte und trank sie solo, und die Männer l a gen in den Ecken. Großmutter lallte was von »schnarchenden Schwächlingen« und wankte ins Schlafzimmer. Kurz darauf gab es einen dumpfen Knall. Ich riß die Tür auf, und da lag sie. Bei dem Versuch, ihre knal l engen Jeans auszuziehen, war sie hingefallen und wälzte sich, von einem Lachkrampf geschüttelt, auf dem Teppich hin und her.
Als Großmutter Rentnerin war, fuhr sie öfter zu ihrem Bruder Siegfried nach Paderborn. Siegfried war dick, seine Frau Irma noch dicker. Großmutter fand, daß die Wohnung, in der die beiden lebten, viel zu klein sei. Sie lobte unser gr o ßes Haus und den Garten und nannte das Leben des dicken Ehepaars in der kle i nen Paderborner Wohnung ein »menschenunwürdiges Dasein«. »Aber«, erläuterte sie, »in diesem Schei ß kapitalismus können sie sich eben mit dem bißchen Geld, was sie haben, keine größere Wohnung lei s ten.« Überhaupt fühlte sich Wilma auf ihren Westreisen nie wohl und war froh, wenn sie wieder zu Hause war. »Allet EU-Wurst da, schmeckt allet gleich, is allet ve r salzen!« Wenn man was Spezielles kaufen wolle, bekomme man es nicht, alles sei unverhäl t nismäßig teuer, ein normaler Mensch mit geringem Einkommen könne sich nicht mal eine grüne Gurke leisten. Von der Reisefre i heit abgesehen – aber wer hätte da schon die Mäuse für große Reisen – sei der Westen mit seinen Arbeitslosen, seinen O b dachlosen, den hohen Mieten für klägliche Hundehütten, überteuertem Gemüse und einem Übe r angebot an lauter nutzlosen Dingen a b solut erbärmlich, das Allerletzte!
Als Mutter sich auf einer Westreise eine Vide o kamera gekauft hatte und nicht wußte, wie sie sie durch die Grenzkontrolle kriegen sollte, war Großmutter gleich mit von der Partie. Daß man Vide o kameras nicht in die DDR einführen durfte, fand sie schlicht b e kloppt.
Ein Arbeitskollege von Mutter, Tim, der schwarzgelockte Choreograph, hatte einen Diplomatenpaß und wurde nicht gefilzt. Er hegte eine Leidenschaft für lange Schie s ser-Unterhosen und kaufte sie auf Vorrat. In seinem Dipl o matenko f fer brachte er sich von jeder Westreise ein Dutzend davon mit. Er reiste grun d sätzlich mit wenig Gepäck, und genau da lag das Problem. Käme er plötzlich mit zwei Koffern, würde der Zoll sich wundern, sein Gepäck durchsuchen, und futsch wär sie, unsere schöne Kamera. Gro ß mutter bot sich an, zur selben Zeit in den Westen zu fahren und den Koffer mit den Unterhosen rüberzubringen. »Urbin, gute Schuhcreme!«, sie tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Wenn die mich kontrollieren, dann walte Hugo!« Wer war Hugo? Und w o rüber sollte er walten? Das wußte nur Großmutter allein.
In Westberlin holte sie die Videokamera bei unsern Ve r wandten ab und traf sich mit dem Chore o graphen. Sie tauschten die Koffer. Wilma marschierte mit den Herrenunterhosen zum Gren z übergang und wurde kontrolliert. Man sah nicht oft eine Rentn e rin mit Diplomatenkoffer durch den Zoll spazieren. Und dann die vielen Unterhosen! Der Beamte bugsierte sie in einen Abstellraum. »Wollen Sie damit im Osten handeln?« Bevor Großmutter etwas zu ihrer Verteidigung Vo r bringen konnte, kam die
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