Drei Irre Unterm Flachdach
fürchterlich sei. Daß die andern nur Rauchen und Bumsen im Kopf hatten, fand ich total kindisch. Ra u chen und Bumsen, das tat man sowieso, da r über dachte man nicht lange nach. Ich machte seit g e raumer Zeit beides, und zwar mit Kai, Rüdiger und Hendrik. Wir sammelten Kippen, steckten sie an, und nach dem Rauchen legten wir uns aufeina n der.
Hendrik, mein Favorit, war gerade DDR-Meister der Junioren im Ringen g e worden. Als ihm wegen schlechter Leistlingen in der Schule der Sport verboten wurde, brach ich beim Kla s senlehrer eine Lanze für ihn und schaffte es, daß er weiter ringen durfte. Der Blödmann von Lehrer begriff gar nichts. Ein Talent mußte gefö r dert werden, und das Ringen war nun mal Hendriks ein und alles, abgesehen von mir. Hätte man es ihm verboten, wäre er kriminell, depressiv oder sonst was g e worden, das sah sogar ein Blinder. Auf jeden Fall aber in der Schule noch schlechter, als er sowieso schon war, soviel stand fest. Ich eng a gierte mich selbstlos für Hendrik, meinen Freund und Meisterringer. Ich war längst so weit, ich wußte Bescheid, mir konnte niemand mehr was vormachen. Wer einen KZ-Opa gehabt hatte, der war im Kern gefestigt. Der wußte, was er denken, sagen, tun und lassen mußte. Ich liebte die G e schichte von Gavroche, dem kleinen Revoluzzer, und hätte wie er mein Leben gegeben für Freiheit, Gleichheit, Br ü derlichkeit, alle andern waren zu feige dazu. Sie hatten kein Rückgrat, keinen Ch a rakter, keinen Standpunkt. Sie wollten nicht anecken, nicht au f fallen, nur mit dem Arsch an die Wand. Jeder war sich selbst der Nächste, was war das für eine beschissene Welt! Ich hi n gegen würde jeden Kommunisten beschützen und jeden Juden verstecken und verachtete all die zutiefst, die auch nur einen M o ment zögerten, wenn ich sie fragte, ob sie das auch täten. In meinen Augen w a ren sie nichts weiter als gewissenlose Schleimer.
Mit vierzehn hatte ich erst mal genug nachg e dacht. Zwei Jahre hatte ich Zeit gehabt, in meinem Kopf alles zu ordnen, nun war ich gewappnet für die Fremden in der Fremde.
Ich reiste an. In das Internat einer Musikspezialschule in Wernigerode im Ostharz zog ein schnippisches Ding mit blonden Zö p fen, graublauen Augen und Stupsnase im blutarmen Gesicht. Das Ding steckte in einem weiten weißen Mä n nerbaumwollhemd, dreiviertellangen Jeans und weißen Lederclogs aus dem Westen. Das Ding kam aus Berlin. Der Rest, bis auf eine, kam aus der PR O VINZ! Das reichte schon. Mit einer Meinung, so endgültig und unumstö ß lich wie die Berliner Mauer, stand die blasse Göre aus der Hauptstadt mit verschränkten A r men da und taxierte den albernen Hühnerhaufen aus der Grassteppe hinter Querfurt.
Eine Handvoll Freunde hatte ich, immerhin. Sie lernten die paar netten Seiten an mir kennen und natürlich mein Weltbild, denn sie kamen allesamt aus kirchlich angehauc h ten Kreisen. Gemeinsam verachteten wir das Mittelmaß und die Angepa ß ten und diskutierten bis spät in die Nacht über Kunst und Sozialismus, Freiheit, Westen, Kirche und Staat. Und über St e phan Krawczyk und Freya Klier, die beiden gerechten Bürger, Bürgerrechtler und Künstlermenschen, die ich nicht leiden konnte, weil sie eigentlich gar keine Kunst machten. Freya Klier sprach immer nur laut, und Stephan Krawczyk sang immer nur falsch. Fand ich jede n falls. Meine Kirchenleute fanden das nicht, aber die mochten ja auch Bettina We g ner, die Liedermacherin, diesen Jammerlappen mit den kleinen Händen und den winzigen Fingern. Na, die ging mir erst recht auf die Nerven mit ihrer großen Klampfe und den klitzekleinen Liedchen. In vielen andern Fragen w a ren wir uns einig, meine paar Freunde und ich, und das verband uns vier Jahre lang gegen die graue dumme Masse.
Das Internat war die absolute Katastrophe. Als Einzelkind – mein Bruder Max war ja gerade erst geboren worden – plöt z lich in ein Fünfbettzimmer gepfercht, spielte ich komplett ve r rückt. Ich war jähzornig, ich hatte Großvaters Koller intus. Jetzt kam er raus. Kirchen-Klara, die Glück gehabt hatte und in einem Zweibet t zimmer wohnte, nahm mir die Beichte ab. Sie besänftigte mich und spendete “Trost. Ich hatte meine Mi t bewohnerin attackiert, weil sie sich im Arbeitszimmer auf meinen Platz gesetzt hatte, vor sich einen Teller mit Zwieback in Schokol a densoße. Sie hatte mich trotzig angesehen und den Stuhl nicht freigegeben. Und wie der Zwieback da so aufgeweicht in der Soße schwamm, das war an
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