Drei Irre Unterm Flachdach
sich schon widerlich. Schließlich hatte ich Eike ang e brüllt, sie solle sich mit ihrem Fraß von meinem Platz verzischen, worauf sie aufgesprungen und in ihr Bett geflüchtet war. Den Teller hatte sie du m merweise stehenlassen. Zur Strafe flog er hinter ihr her. Jetzt saß da ein brauner Haufen mit Zwieback in den Haaren und flennte. Ich mußte mich entschu l digen und Eikes Bettzeug auswaschen. Dabei war sie es gewesen, die mich pr o voziert hatte. Die Welt war nicht nur beschissen, sie war auch ungerecht! Dank Kirchen- Klara überstand ich meine Sinnkrise mit Hilfe der Zehn Gebote. Ein Zweibettzimmer bekam ich nicht, denn ich sollte le r nen, mich unterzuordnen und ins Kollektiv einzuf ü gen. Beides ging schief.
Mit sechzehn hatte ich meinen ersten Freund. Er lebte in Berlin und war neununddreißig. Sooft ich konnte, fuhr ich zu Horst und ließ das Kollektiv im Stich. Das galt als schweres Fehlverhalten. Schnellstens teilte man mir eine Au f gabe zu. Ich wurde Kultu r funktionär. Die Arbeit machte mir Spaß. Zur Freude des Klassenlehrers organisie r te ich Theaterabende in Berlin, Magdeburg oder im nahe gelegenen Halberstadt. Erst machten sie noch mit, aber bald hatte das Ko l lektiv keine Lust mehr auf Kultur. Das Ko l lektiv wollte lieber Spaghetti essen. Ich sollte einen Spaghettiabend organisieren, als Kultu r funktionär! Ich begann das Kollektiv zu hassen. »B. übernimmt nur Aufgaben, wenn sie ihren Interessen en t sprechen«, stand später in meiner Beurteilung. Ja logisch. Was denn sonst?
Manchmal, in einer schlaflosen Nacht im Doppelstockbett des Internatszi m mers, fragte ich mich, ob ich eigentlich normal war. Plötzlich kratzte da was an meiner Schale. War ich wirklich so knallhart, so selbstsicher und überzeugt, wie ich tat? Mußte man nicht Kompromisse schließen, um einigermaßen klarz u kommen im Leben? Auch wenn der Kompromiß Spaghetti mit Tomatensoße hieß? Wie lange wollte ich das noch durchhalten, immer gegen den Strom? Doch bevor es in mir nachgab, die Schale einen Riß bekam, wischte ich die Zweifel weg. Nein, ich machte gar nichts falsch, und wenn doch, so war das nur folg e richtig, denn schlie ß lich hatte ich Charakter. Die andern, bis auf meine paar Freunde, hatten keinen Charakter. Deshalb konnten sie auch keine Fehler m a chen, blieben dumm und wurden fett. Sollten sie Spaghetti fressen, bis sie kot z ten! Beruhigt schlief ich wieder ein.
Ich fuhr allein nach Berlin, sank in die Arme von Horst und heulte mich aus. Abends gingen wir in die Kneipe, nicht ins Theater. Horst war melanch o lisch und saß lieber am Thesen. Er schrieb mir lange Briefe ins Internat. Ich liebte die Bri e fe, erwartete sie sehnsüchtig. Es waren Briefe voller Poesie und Verständnis für meine Koller und Krisen. Einer in meinem Alter hätte das nie schreiben können, Horst konnte es. Aber Horst schrieb auch an Ki r chen-Klara. Eines Tages hielt ich einen Brief an SIE in der Hand. Er war versehentlich in meine Post geraten. Das tat jetzt richtig weh. Herz und Magen spielten Tauziehen. Ausgerechnet Kirchen-Klara, die stille, feine Ki r chen-Klara! »Du sollst nicht ...« Ich biß mir auf die Zunge, ich nahm mich zusammen, ich sagte nichts. Kirchen-Klara, das Gottesgeschöpf, warf zwar nicht mit Zwiebac k brei, war aber auch nur ein Mensch. Horst gegenüber tat ich a h nungslos und blieb bei ihm, noch einige Jahre. Viel zu spät merkte ich, daß ihm außer mir nicht nur Kirchen-Klara, sondern alle meine Freundinnen gefielen.
Die Jahre bis zum Abitur an der Spezialschule überstand ich mit Ach und Krach. Dann hatte ich keinen Studienplatz. Das Le h rerstudium, zu dem wir uns mit vierzehn hatten verpflichten müssen, trat ich nicht an. Ich wollte Schauspi e lerin werden. Als das nicht klappte, besorgte mir Horst einen Job. Ich fing im Zentrum für Kunstausstellungen der DDR an und blieb dort bis kurz nach der Wende. Das Zentrum wurde abg e wickelt, wie die ganze DDR. Zur gleichen Zeit wickelte ich Horst ab, dessen Melancholie sich durch den Fall der Mauer in eine mittelschwere Depression ve r wandelt hatte. Ich hatte genug mit mir selber zu tun, und Horst nahm mir das letzte bißchen Luft zum Atmen. Er versuchte mich zu bremsen, zu überwachen, anzuketten. Er hatte endgültig den Überblick verl o ren.
Die Welt war zu groß geworden für Horst, den stillen Tresenpoeten, der alle jungen Frauen liebte, und ich war keine sec h zehn mehr.
Achtzehn in der Pr o vinz
Meinen achtzehnten Geburtstag
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