Drei Irre Unterm Flachdach
Dritte Welt geworden – es gab Entwicklungshilfe: Kaffee, Ban a nen, echtes Geld! Und ich war der weiße Neger, der mit einem Tritt in den Hintern aus der Dritten in die Erste Welt befö r dert worden war: »Komm, Neger, nimm eine Banane, kriegst du geschenkt. Und jetzt bedank dich schön!« Von Banane bekam ich Magenkrämpfe, schon immer. »Nee danke, von Banane krieg ich Magenkrämpfe«, wie hätte sich das denn a n gehört!
Immer wieder erschien mir Großvater im Traum. Ich kämpfte gegen meine Depressionen an, und er kam Nacht für Nacht im blauweiß gestreiften Schlafa n zug zu mir, hilflos mit den Armen fuchtelnd: »Lord help me please!« Auch er hatte keinen Gott g e habt.
Ich probierte es mit Westkontakten, so konnte es nicht weitergehen. Die krampfhaften Versuche, meinen Freundeskreis mit Westlern aufzupeppen, scheiterten kläglich. Gleich 1990 hatte ich mich an der Freien Universität eing e schrieben. Ich quatschte alle an, die mir auf den ersten Blick sympathisch waren. Wir gingen zusammen in Kne i pen, in Dahlem und im Prenzlauer Berg, doch die meisten Abende endeten im Streit. Wir redeten a n einander vorbei. Isabell aus Wuppertal erklärte mir zwei Stunden lang, w a rum sie für den Sandkasten ihres Sohnes nur Ökosand verwendete: »Wegen der Hygiene, verstehst?« Nein, ich verstand nicht.
Wäre ich früher geboren worden, ich hätte agitiert wie ve r rückt, hätte mir den Mund fusselig geredet. So war ich nichts we i ter als verunsichert. Zwei Jahre lang lief ich nur in Schwarz rum, mein Lieblingswort war furchtbar. Es kam aus mir raus, unkontrolliert, mech a nisch. Furchtbar – alles war furchtbar. Ich wollte den Osten nicht, so wie er war, und den Westen wollte ich schon gar nicht. An den Wochenenden flüchtete ich mich in den Schoß der Familie. In Blankenburg hockten noch immer drei Generationen unter einem Dach und guckten verstört hi n aus in die feindliche Welt.
Mutter war verzweifelt, sie fragte sich, wie es an ihrem Theater mit der Kunst weitergehen solle, denn die Zuschauer blieben neuerdings weg. Großmutter kläffte während der Nachrichten mi n destens dreimal »Scheiß- Kapitalismus!« und verkündete empört: »Wenn das der Täve noch erlebt hätte, der hätte sich erschossen!« Sag ich ja!
Mein Bruder war eines Tages heulend aus der Schule gekommen. Er war g e rade Jungpionier geworden und wahnsinnig stolz auf sein blaues Hal s tuch. Jetzt hatte man die Kinder belehrt, daß es ab sofort keine Jungen Pi o niere mehr gebe. Das war zuviel für den kleinen Max. Er feuerte die Schu l mappe in die Ecke und band das Halstuch um. Dann rannte er in Mutters Zimmer und zerrte aus dem Plattenschrank die Single mit der DDR-Nationalhymne. Wä h rend »Auferstanden aus Ruinen« unsere Grundmauern erschütte r te, hüpfte er auf Mutters Bett rum und skandierte: »Ich – bin – Pionier! Ich – bin – Pionier!« Er hörte erst auf, als der Lattenrost unter seinem Getrampel zusa m menkrachte. Nun war wegen des Mauerfalls auch noch Mutters schönes Bett kaputt. Dreißig Jahre hatte es gehalten! Blankenburg war der ei n zige Ort, an dem ich mich sicher fühlte.
89 war ich auf keiner einzigen Demo gewesen. Ich hatte nichts gegen den Sturz der DDR getan und nichts dafür. Früher hatte ich immer die große Klappe gehabt. Jetzt, wo die Idee endlich die Massen ergriff, verstummte ich. Eine Freundin schwärmte von den Montagsdemos in Leipzig. »Wir sind das Volk!« und »Wir bleiben hier!« rufe man dort. Bringt doch sowieso nichts, raunte meine innere Stimme. Später wurde es trostlos: »Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, gehn wir zu ihr!« »Helmut, nimm uns an die Hand und führ uns ins gelobte Land!« Und Undine, die auf den Montagsdemos gerade noch »Wir bleiben hier!« gerufen hatte, war die erste aus meinem Freu n deskreis, die nach der Wende in den Wedding zog und von O-Saft sprach. Ihren neuen Freund, einen Westprovinzler, der an der Tec h nischen Universität Betriebswirtschaft st u dierte, fand ich zum Umfallen langweilig. Die meisten Westmänner, die ich kennenlernte, interessierten mich nicht. Konturlose, weichgespülte Typen, die »mal ein bißchen in den Recht s wissenschaften stöbern« wollten, um dann – das St ö bern hatte meist sehr lange gedauert – als mittelmäßige Anwälte in einer Wu p pertaler Kanzlei mit ihren Patschehändchen in den Akten der Mandanten we i terzustöbern, während ihre Freundinnen schwere Einkaufstüten schleppten und »irgendwas von zu
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