Drei Irre Unterm Flachdach
richtiger Künstler!« Jetzt, wo er unter der Erde lag, machte sie ihm Komplimente. Mutter redete immerzu vom Ballett und verkündete tra u rig, die Kunst sei ein hartes Brot. Das wiederum war für Cousine Frieda Anlaß zu allerlei Ratschlägen: »Sieh mal zu, daß du dich trotz allem ein wenig e r holst. Und mach mal was an deinem Outfit! Eine junge Frau wie du sollte das Leben geni e ßen! Kauf dir mal ein tolles Kostüm, möglichst schlicht-elegant. So im Blazerstil. Den Rock nicht zu lang – und zeig der Welt mal deine hübschen Beine in hübschen Sch u hen.« Wo Frieda recht hatte, hatte sie recht.
Tante Heidelore war die Originellste. Sie hatte schon als Kind einen Hang zum Künstlerischen gehabt und bedauerte, daß sie nicht wie Mutter Tänzerin gewo r den war. »Weißt du, wir hatten drüben einfach nicht die Möglichkeiten!« He i delore wohnte wie Emmi in Westberlin und kam mit einem knallroten Käfer a n getuckert, manchmal vier läge hintereinander. Im Kofferraum tran s portierte sie Whisky, Johnny Walker mit dem roten Etikett. Einmal holte sie mich mit dem knallroten Cabrio von der Schule ab. Ich durfte mich auf das Trittbrett stellen, und wir fuhren im Schrittempo durch ganz Blankenburg.
Am Abend lümmelten Heidi und Babs mit Johnny Walker auf dem Sofa rum und trauerten in fröhlicher Zweisamkeit Heidis verpaßter Ballettkarriere nach. Gegen ein Uhr nachts ve r duftete K ä fer-Heidi in Richtung Grenzübergang, am nächsten Abend trudelte sie mit neuem Johnny Walker im Kofferraum wieder bei uns ein. Johnny Walker war ihr bester Freund.
Einige Wochen nach dem Mauerfall stand ein verbeulter Lieferwagen vor u n serer Tür. Es war der von Onkel Mac. Er hielt es, wie er sagte, für eine Selbstve r ständlichkeit, der lieben Verwandtschaft, also uns, zuallererst seine Habseli g keiten anzubieten, n a türlich zum Freundschaftspreis! Wir freuten uns über Onkel Macs Besuch, aber die Lederjacken, mit denen er gerade unterwegs war, fanden wir nicht schön. Sie waren aus kackbraunem Kunstleder und hatten diesen hä ß lichen Bund, der gerade außer Mode g e kommen war. Wir saßen Stunden mit Onkel Mac zusammen, tranken Rotkäppchen und schen k ten ihm kräftig nach in der Hoffnung, er würde die Lederjacken wieder ei n packen. Aber Onkel Mac war Händler, er gab nicht auf. Als er endlich vom Grundstück schwankte, standen Großmutter, Mutter und ich in kackbraunen Freundschaftspreisbundlederjacken am Ga r tenzaun und winkten mit resigniertem Lächeln dem lädierten Lieferwagen hinterher.
Oft haben wir Hexe und Onkel Mac nach der Wende nicht mehr gesehen. H e xe starb Mitte der Neunziger an Krebs. Mac jagte sich, nachdem er den gesamten Osten der Republik mit Teppichen und Kunstlederjacken zug e schüttet hatte, eine Kugel in den Kopf. Sein Geschäft brach zusammen, nachdem auch der letzte Thüringer Wurstverkäufer glücklicher Besitzer eines Or i entteppichimitats und einer Kunstlederjacke war. Tante Mimmi zählt noch immer Krokusse in ihrem DDR-Schrebergarten mit der alten Laube, die heute genauso aussieht wie vor zwanzig Jahren. Käfer-Heidi überlebte einen Schlaganfall, und Emmi, die Tischdeckschwärm e rin, besuchte ich neulich.
Emmi hatte gleich nach der Wende meine Mutter abblitzen lassen. Die war auf dem Kurfürstendamm im Überschwang in eine Telefonzelle g e stürzt und hatte Tante Emmi angerufen: »Hallo? Ich bin es, Babette! Wollen wir ...« Sie hatte den Satz nicht beenden können, denn Emmi war ihr ins Wort gefallen und hatte in den Hörer gekeift: »Bleibt mir bloß weg mit euren Ei n kaufsbeuteln und sti n kenden Trabbis! Jetzt ist die Stadt voll davon! Voll mit Ossis und Trabbis. Jetzt sollen wir auch noch für euch bezahlen! Dabei haben wir schon immer Geld g e geben! Wo ist denn das ganze Geld geblieben, hm? Das ist doch ein Faß ohne Boden! Die Mauer muß wieder her!« Damals hatte Babs ihren Ohren nicht g e traut.
Sechzehn Jahre nach diesem Telefonat empfängt mich Emmi freundlich. Wir trinken Kaffee, auf dem Wohnzimmertisch türmt sich Buttercrem e torte für zehn Personen, obwohl wir niemanden mehr erwarten. »Es war doch gut, daß die Mauer aufgegangen ist, nicht wahr? Aber was ist heute? So haben wir uns das nicht vorgestellt. Nichts ist be s ser geworden, gar nichts. Und Hans fehlt mir so!« Onkel Hans, Tante Emmis Mann, war vor ein paar Jahren ganz plötzlich gesto r ben. Sie zeigt mir das eheliche Schlafzimmer. »Siehst du, und nun liege ich hier allein.« Über ihre Wangen la
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