Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Drei Kameraden

Drei Kameraden

Titel: Drei Kameraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Maria Remarque
Vom Netzwerk:
Pat. »Ist das die Straße nach Hause?«
     »Ja.«
     Sie schwieg und sah hinunter. Dann stieg sie aus und hielt
    die Hand schützend vor die Augen. So starrte sie nach Norden, als könne sie schon die Türme der Stadt sehen. »Wie weit ist es?« fragte sie.
     »So an tausend Kilometer. Im Mai fahren wir hinunter. Dann holt Otto uns ab.«
     »Im Mai«, wiederholte sie. »Mein Gott, im Mai.«
     Die Sonne versank langsam. Das Tal wurde lebendig; die Schatten, die bisher starr in den Bodenfalten gehockt hatten, begannen lautlos hervorzuhuschen und höher zu klettern wie blaue Riesenspinnen. Es wurde kühl. »Wir müssen zurück, Pat«, sagte ich.
     Sie blickte auf, und ihr Gesicht war plötzlich wie zerfallen vor Schmerz. Ich sah auf einmal, daß sie alles wußte. Sie wußte, daß sie nie mehr über diese gnadenlose Bergkette am Horizont hinwegkommen würde, sie wußte es und wollte es verbergen, so wie wir es vor ihr verbergen wollten, aber einen Augenblick lang verlor sie die Fassung, und aller Jammer der Welt brach aus ihren Augen. »Laß uns noch ein Stück herunterfahren«, sagte sie. »Nur ein ganz kleines Stück abwärts.«
     »Komm«, erwiderte ich, nachdem ich Köster angesehen hatte. Sie stieg zu mir hinten in den Wagen, ich bettete sie in meinen Arm und zog die Decke über uns beide. Der Wagen begann langsam bergab zu fahren, in das Tal und in die Schatten.
     »Robby, Liebling«, flüsterte Pat an meiner Schulter, »jetzt ist es, als ob wir nach Hause führen, zurück in unser Leben...«
     »Ja«, sagte ich und zog die Decke bis an ihr Haar.
     Es wurde rasch dunkler, je tiefer wir kamen. Pat lag ganz unter den Decken. Sie schob ihre Hand auf meine Brust, unter das Hemd, ich fühlte ihre Hand auf meiner Haut, und dann ihren Atem, ihre Lippen und dann ihre Tränen.
     Vorsichtig, damit sie die Kurve nicht merkte, drehte Köster auf dem Marktplatz des nächsten Dorfes den Wagen in einer langen Schleife und fuhr langsam zurück.
     Die Sonne war verschwunden, als wir die Höhe wieder überfuhren, und im Osten stand schon blaß und klar zwischen aufsteigenden Wolken der Mond. Wir fuhren zurück, die Ketten malmten über den Boden mit monotonem Geräusch, es wurde sehr still, ich saß reglos und rührte mich nicht und fühlte die Tränen Pats auf meinem Herzen, als blute dort eine Wunde.

    Eine Stunde später saß ich in der Halle. Pat war in ihrem
    Zimmer, und Köster war zur Wetterstelle gegangen, um sich zu erkundigen, ob es Schnee gäbe. Es war draußen dunstig geworden, der Mond hatte jetzt einen Hof, und weich und grau wie Samt stand der Abend vor den Fenstern. Nach einer Weile kam Antonio und setzte sich zu mir. Ein paar Tische entfernt saß eine Kanonenkugel in einem Homespunanzug mit zu kurzen Knickerbockern. Ein Säuglingsgesicht mit aufgeworfenen Lippen und kalten Augen, darüber ein runder roter Kopf ohne Haare, glänzend wie eine Billardkugel. Neben ihm eine schmale Frau mit tiefen Augenschatten und einem flehentlichen, kummervollen Ausdruck. Die Kanonenkugel war lebhaft, der Kopf war ständig in Bewegung, die rosigen Patschhände beschrieben glatte Kurven.
     »Wunderbar, hier oben, ganz herrlich! Dies Panorama, diese Luft, diese Verpflegung! Hast es wirklich gut...«
     »Bernhard«, sagte die Frau leise.
    »Wahrhaftig, so möchte ich's auch mal haben, gehätschelt
    und gepflegt!« öliges Gelächter. »Na, ich gönn's dir...«
     »Ach, Bernhard«, sagte die Frau mutlos.
     »Was denn, was denn«, lärmte die Kanonenkugel fröhlich,
    »besser geht's doch gar nicht! Bist doch hier wie im Paradies! Was meinst du, was sich unten tut! Muß morgen wieder 'rein in den Schlamassel. Sei froh, daß du nichts davon merkst. Na, freut mich, gesehen zu haben, daß es dir hier gut geht.«
     »Bernhard, es geht mir nicht gut«, sagte die Frau.
     »Aber Kindchen«, polterte Bernhard, »nicht pimpelig
    werden! Was sollte unsereins da sagen! Immer im Betrieb, die Pleiten überall, die Steuern – na, man macht's ja gern.«
     Die Frau schwieg.
     »Rüstiger Knabe«, sagte ich zu Antonio.
     »Und wie!« erwiderte er. »Seit vorgestern ist er hier und
    redet jeden Versuch der Frau mit seinem ›Wunderbar hast du's hier‹, nieder. Er will nichts sehen, wissen Sie – nicht ihre Angst, nicht ihre Krankheit, nicht ihre Einsamkeit. Wahrscheinlich lebt er längst mit einer zweiten Kanonenkugel in Berlin und macht hier halbjährlich seinen Pflichtbesuch, händereibend, jovial, auf seine Bequemlichkeit bedacht.

Weitere Kostenlose Bücher