Drei Kameraden
Spanierin hatte eine Gitarre auf den Knien. Sie zupfte ein paar Akkorde. Dann begann sie zu singen, und es war, als schwebe ein dunkler Vogel durch den Raum. Sie sang spanische Lieder, mit einer halblauten Stimme – der rauhen, brüchigen Stimme der Kranken. Ich wußte nicht: Waren es die fremdartigen, melancholischen Melodien, war es die erschütternde, abendliche Stimme des Mädchens, waren es die Schatten der in Sesseln und auf dem Boden kauernden Kranken, war es das große, geneigte, dunkle Gesicht des Russen: Mit einem Male kam es mir vor, als wäre das alles nur eine schluchzende, stille Beschwörung des Schicksals, das draußen hinter den verhängten Fenstern stand und wartete, eine Bitte, ein Aufschrei und Angst, Angst vor dem Alleinsein mit dem leise fressenden Nichts.
Am nächsten Morgen war Pat fröhlich und ausgelassen. Sie beschäftigte sich mit ihren Kleidern. »Zu weit geworden, viel zu weit«, murmelte sie prüfend vor dem Spiegel. Dann wandte sie sich mir zu.
»Hast du eigentlich deinen Smoking mit, Liebling?«
»Nein«, sagte ich. »Habe nicht gewußt, daß man hier einen braucht.«
»Dann geh zu Antonio. Er wird dir einen leihen. Ihr habt ja die gleiche Figur.«
»Der braucht ihn doch selber.«
»Er zieht einen Frack an.« Sie steckte eine Falte ab. »Und dann geh Skilaufen. Ich muß jetzt hier arbeiten. Das kann ich aber nicht, wenn du dabei bist.«
»Dieser Antonio«, sagte ich, »den plündere ich ja geradezu aus. Was würden wir bloß machen ohne ihn.«
»Er ist ein guter Junge, was?«
»Ja«, erwiderte ich, »das ist das richtige Wort für ihn. Ein guter Junge.«
»Ich weiß nicht, was ich gemacht hätte, wenn er nicht dagewesen wäre, als ich allein war.«
»Daran wollen wir nicht mehr denken«, sagte ich. »Es liegt so weit zurück.«
»Ja.« Sie küßte mich. »Und nun geh Skilaufen.«
Antonio wartete schon auf mich. »Habe mir schon gedacht, daß Sie keinen Smoking mithaben«, sagte er. »Probieren Sie mal die Jacke an.«
Das Jackett war etwas knapp, aber es paßte ganz gut. Antonio pfiff vergnügt und hängte den Anzug heraus. »Das wird ein großer Spaß morgen«, erklärte er. »Glücklicherweise hat die kleine Sekretärin Abenddienst im Büro. Die alte Rexroth würde uns nicht 'rauslassen. Offiziell ist doch das alles verboten. Aber inoffiziell sind wir natürlich keine Kinder mehr.«
Wir gingen Skilaufen. Ich hatte ganz gut gelernt, und wir brauchten nicht mehr auf die Übungswiese. Unterwegs begegneten wir einem Mann mit Brillantringen, karierten Hosen und einem wehenden Künstlerschlips. »Komische Gestalten gibt es hier«, sagte ich.
Antonio lachte. »Das ist ein wichtiger Mann. Ein Leichenbegleiter.«
»Was?« fragte ich erstaunt.
»Ein Leichenbegleiter«, wiederholte Antonio. »Es sind doch hier Kranke aus aller Welt. Besonders viele aus Südamerika. Nun, und die meisten Familien wollen doch ihre Angehörigen zu Hause beerdigen lassen. Dann reist so ein Leichenbegleiter für eine anständige Entschädigung mit und bringt die Zinksärge hin. Auf diese Weise werden diese Leute wohlhabend und kommen viel herum. Den da hat der Tod zum Dandy gemacht, wie Sie sehen.«
Wir stiegen noch eine Zeitlang weiter auf, dann schnallten wir die Schier an und liefen. Die weißen Hänge schwangen auf und ab, und hinter uns raste kläffend, ab und zu bis an die Brust einsinkend, Billy, wie ein rotbrauner Ball. Er hatte sich wieder an mich gewöhnt, wenn er auch oft unterwegs kehrtmachte und spornstreichs mit fliegenden Ohren zum Sanatorium zurückjagte.
Ich übte Kristianias, und jedesmal, wenn ich den Abhang hinunterglitt und mich auf den Schwung vorbereitete und den Körper lose machte, dachte ich: Wenn dieser gelingt, ohne daß ich falle, wird Pat gesund. Der Wind sauste mir um das Gesicht, der Schnee war schwer und zähe, aber ich stemmte mich immer aufs neue ab, ich suchte immer steilere Abfahrten, immer schwierigeres Gelände, und als es wieder und wieder gelang, dachte ich: Gerettet!, und wußte, daß es
töricht war, und wurde doch froh wie lange nicht.
Am Samstagabend war großer, heimlicher Aufbruch. Antonio hatte etwas abseits und unterhalb vom Sanatorium Schlitten bestellt. Er selbst rodelte mit Lackschuhen und offenem Mantel, unter dem die weiße Frackbrust herausblitzte, fröhlich jodelnd die Anhöhe hinunter.
»Er ist verrückt«, sagte ich.
»Das macht er oft«, erwiderte Pat. »Er ist grenzenlos leichtsinnig.
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