Drei Kameraden
Geräusch der schwachen Brandung rauschte mir in den Ohren. Es erinnerte mich an etwas, an einen heißen Tag, wo ich ebenso gelegen hatte –
Es war im Sommer 1917 gewesen. Unsere Kompanie lag damals in Flandern, und wir hatten unverhofft ein paar Tage Urlaub nach Ostende bekommen, Meyer, Holthoff, Breyer, Lütgens, ich und noch einige andere. Die meisten von uns waren noch nie am Meere gewesen, und diese wenigen Tage, diese fast unbegreifliche Pause zwischen Tod und Tod, wurden zu einer wilden Hingabe an Sonne, Sand und Meer. Wir blieben den ganzen Tag am Strande, wir dehnten unsere nackten Körper in der Sonne – denn Nacktsein, nicht Bepacktsein mit den Waffen und der Uniform, das hieß schon soviel wie Frieden –, wir tobten am Strande herum und stürmten immer wieder in das Meer hinein, wir spürten unsere Glieder, unseren Atem, unsere Bewegungen mit der ganzen Stärke, die die Dinge des Lebens in dieser Zeit hatten, wir vergaßen alles in diesen Stunden und wollten auch alles vergessen. Aber abends, in der Dämmerung, wenn die Sonne fort war und die grauen Schatten vom Horizont her über das erblassende Meer liefen, dann mischte sich langsam in das Brausen der Brandung ein anderer Ton, er wurde stärker und übertönte es schließlich wie eine dumpfe Drohung: der Kanonendonner der Front. Dann kam es vor, daß plötzlich ein fahles Schweigen die Gespräche unterbrach, daß die Köpfe sich lauschend hoben und daß aus den fröhlichen Gesichtern müde gespielter Knaben jäh wieder das harte Antlitz der Soldaten hervorsprang, ergreifend überweht für einen Augenblick noch von einem Erstaunen, einer Schwermut, in der alles war, was nie ausgesprochen wurde: Mut und Bitterkeit und Lebensgier, der Wille zur Pflicht, die Verzweiflung, die Hoffnung und die rätselhafte Trauer der früh Gezeichneten. Ein paar Tage später begann die große Offensive, und schon am dritten Juli hatte die Kompanie nur noch zweiunddreißig Mann, und Meyer, Holthoff und Lütgens waren tot. –
»Robby!« rief Pat.
Ich öffnete die Augen. Einen Moment mußte ich mich besinnen, wo ich war. Immer, wenn Erinnerungen aus dem Kriege kamen, war man gleich weit weg. Bei andern nicht.
Ich richtete mich auf. Pat kam aus dem Wasser. Sie ging
gerade vor der Bahn der Sonne auf dem Meer, breiter Glanz floß über ihre Schultern, und sie war so umflutet von Licht, daß sie fast dunkel davor wirkte. Mit jedem Schritt den Strand hinauf wuchs sie höher in den starken Schein, bis die Sonne des späten Nachmittags hinter ihrem Kopfe stand wie eine Gloriole.
Ich sprang auf, so unwirklich, so wie aus einer anderen Welt erschien mir gerade jetzt dieses Bild – der weite blaue Himmel, die weißen Schaumreihen des Meeres und die schöne, schmale Gestalt davor –, als wäre ich allein auf der Welt und aus dem Wasser schritte die erste Frau herauf. Einen Augenblick lang empfand ich die ungeheure, stille Gewalt der Schönheit und spürte, daß sie stärker war als alle blutige Vergangenheit, daß sie stärker sein mußte, daß die Welt sonst zusammenbrechen würde, daß sie sonst ersticken müßte in ihrer furchtbaren Verwirrung. Und mehr als das noch empfand ich, daß ich da war, einfach da war, und daß Pat da war, daß ich lebte, daß ich herausgekommen war aus dem Grauen, daß ich Augen hatte und Hände und Gedanken und die heißen Wellen des Blutes und daß alles das ein unbegreifliches Wunder war.
»Robby!« rief Pat noch einmal und winkte.
Ich griff ihren Bademantel vom Boden auf und ging ihr rasch entgegen. »Du bist viel zu lange im Wasser gewesen«, sagte ich.
»Ich bin ganz warm«, erwiderte sie atemlos.
Ich küßte sie auf die feuchte Schulter. »Anfangs mußt du etwas vernünftiger sein.«
Sie schüttelte den Kopf und sah mich strahlend an. »Ich bin lange genug vernünftig gewesen.«
»So?«
»Natürlich. Viel zu lange! Ich will endlich einmal unvernünftig sein!« Sie lachte und legte ihre Wange an mein Gesicht. »Wir wollen unvernünftig sein, Robby! An nichts denken, an überhaupt nichts denken, nur an uns und die Sonne und die Ferien und das Meer!«
»Gut«, sagte ich und nahm das Frottiertuch. »Zunächst will ich dich mal trockenreiben. Woher bist du eigentlich schon so braun?«
Sie zog den Bademantel an. »Das stammt noch aus meinem vernünftigen Jahr. Da mußte ich jeden Tag auf dem Balkon eine Stunde in der Sonne liegen. Und abends um acht Uhr schlafen gehen. Heute abend gehe ich um acht Uhr noch
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