Drei Männer im Schnee
Mund halten. Sie blickte jede Minute dreimal auf die Wanduhr, die über den Zervelat-und Salamiwürsten hing. Kalt war’s im Laden. Und die Steinfliesen waren feucht. Draußen war Matschwetter.
Als kurz nach zehn Uhr das Telefon klingelte, war sie bereits völlig aufgelöst. Sie lief zittrig hinter den Ladentisch, schob sich am Hackblock vorbei, preßte den Hörer krampfhaft ans Ohr und sagte zu Frau Kuchenbuch: »Hoffentlich verstehe ich ihn deutlich. Er ist so weit weg!« Dann schwieg sie und lauschte angespannt. Plötzlich erstrahlte ihr Gesicht. Wie ein Festsaal, der eben noch im Dunkeln lag.
»Ja!« rief sie mit heller Stimme. »Hier Hagedorn! Fritz, bist du’s?
Hast du dir ein Bein gebrochen? Nein? Das ist recht. Oder einen Arm? Auch nicht? Da bin ich aber froh, mein Junge. Bist du bestimmt gesund? Wie? Was sagst du? Ich soll ruhig zuhören? Fritz, benimm dich. So spricht man nicht mit seiner Mutter. Nicht einmal telefonisch. Was gibt’s?« Sie schwieg ziemlich lange, hörte angespannt zu und tat unvermittelt einen kleinen Luftsprung.
»Junge, Junge! Mache keine Witze? Achthundert Mark im Monat?
Hier in Berlin? Das ist aber schön. Stelle dir vor, du müßtest nach Königsberg oder Köln, und ich säße in der Mommsenstraße und finge Fliegen. Was soll ich mich? Sprich lauter, Fritz! Es ist jemand im Laden. Ach so, festhalten soll ich mich!! Gern, mein Junge.
Wozu denn? Was hast du dich? Du hast dich verlobt? Schreck, laß nach! Hildegard Schulze? Kenne ich nicht. Weshalb denn gleich verloben? Dazu muß man sich doch erst näher kennen. Widersprich nicht. Das weiß ich besser. Ich war schon verlobt, da warst du noch gar nicht auf der Welt. Wieso willst du das hoffen? Ach so!« Sie lachte.
»Na, ich werde das Fräulein mal unter die Lupe nehmen. Wenn sie mir nicht gefällt, erlaube ich’s nicht. Abwarten und Tee trinken. Tee trinken, habe ich gesagt. Lade sie zum Abendessen bei uns ein! Ist sie verwöhnt? Nein? Dein Glück! Was hast du abgeschickt?
Zweihundert Mark? Ich brauche doch nichts. Also gut. Ich kaufe ein paar Oberhemden und was du sonst noch brauchst. Müssen wir nicht aufhören, Fritz? Es wird sonst zu teuer. Was ich noch fragen wollte: Reicht die Wäsche? Habt ihr schönes Wetter? Dort taut es auch? Das ist aber schade.
Und grüße das Mädchen von mir. Nicht vergessen! Und deinen Freund. Du, der heißt doch auch Schulze! Sie ist wohl seine Tochter? Gar nicht miteinander verwandt? Soso.«
Nun hörte die alte Dame wieder längere Zeit zu. Dann fuhr sie fort:
»Also, mein lieber Junge, auf frohes Wiedersehen! Bleib mir gesund! Komme nicht unter die Straßenbahn. Weiß ich ja. Es gibt gar keine in eurem Kuhdorf.« Sie lachte. »Mir geht’s ausgezeichnet.
Und vielen Dank für den Anruf. Das war sehr lieb von dir. Weißt du schon, ob du günstige Fahrverbindung zum Büro hast? Weißt du noch nicht? Aha. Wie heißt denn die Firma? Toblerwerke? Die dir den Preis verliehen haben? Da wird sich aber Herr Franke freuen.
Natürlich grüß ich ihn. Selbstverständlich. So, nun wollen wir hinhängen. Sonst kostet es das Doppelte. Auf Wiedersehn, mein Junge. Ja. Natürlich. Ja, ja. Ja! Auf Wiedersehen!«
»Das waren aber gute Nachrichten«, meinte Frau Kuchenbuch anerkennend.
»Achthundert Mark im Monat«, sagte die alte Dame. »Und vorher jahrelang keinen Pfennig!«
»Achthundert Mark und eine Braut!« Frau Hagedorn nickte. »Ein bißchen viel aufs Mal, wie? Aber dazu sind die Kinder ja schließlich da, daß sie später Eltern werden.«
»Und wir Großeltern.«
»Das wollen wir stark hoffen«, meinte die alte Dame. Sie musterte den Ladentisch.
»Geben Sie mir, bitte, ein Viertelpfund Hochrippe. Und ein paar Knochen extra. Und ein Achtel gekochten Schinken. Der Tag muß gefeiert werden.«
Fritz war früh auf der Bank gewesen und hatte den Scheck eingelöst.
Dann hatte er im Postamt das Telefongespräch mit Berlin angemeldet und, während er auf die Verbindung wartete, für seine Mutter zweihundert Mark eingezahlt. Jetzt, nach dem Gespräch, bummelte er guter Laune durch den kleinen, altertümlichen Ort und machte Einkäufe. Das ist, wenn man jahrelang jeden Pfennig zehnmal hatte umdrehen müssen, ein ergreifendes Vergnügen.
Jahrelang hatte man die Zähne zusammengebissen. Und nun das Glück wie der Blitz eingeschlagen hat, möchte man am liebsten heulen. Na, Schwamm drüber!
Für Herrn Kesselhuth, seinen Gönner, besorgte Doktor Hagedorn eine Kiste kostbarer Havannazigarren. Für Eduard
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