Drei Männer im Schnee
seinem Ladentisch saß und eine englische Zeitung überflog. »Ich habe mit Ihnen zu reden«, erklärte sie. Er stand langsam auf. Die Füße taten ihm weh. »Wir kennen einander seit fünf Jahren, nicht wahr?«
»Jawohl, gnädige Frau. Als Sie das erste Mal bei uns waren, wohnten gerade die akademischen Skiläufer im Hotel.« Das klang etwas anzüglich.
Sie lächelte, griff in ihre kleine Brokattasche und gab ihm ein Bündel Banknoten. »Es sind fünfhundert Mark«, erklärte sie obenhin. »Ich habe die Summe gerade übrig.«
Er nahm das Geld. »Gnädige Frau, verfügen Sie über mich!«
Sie holte eine Zigarette aus dem goldenen Etui. Er gab ihr Feuer. Sie rauchte und blickte ihn prüfend an. »Hat sich eigentlich noch keiner der Gäste über Herrn Schulze beschwert?«
»O doch«, meinte er. »Man hat sich wiederholt erkundigt, wieso ein derartig abgerissen gekleideter Mensch ausgerechnet in unserem Hotel wohnt. Dazu kommt ja noch, daß sich der Mann im höchsten Grade unverschämt aufführt. Ich selber hatte heute nachmittag einen Auftritt mit ihm, der jeder Beschreibung spottet.«
»Diese Beschreibung wäre zudem überflüssig«, erklärte sie. »Ich saß am Nebentisch. Es war skandalös! Sie sollten sich eine solche Unverfrorenheit nicht bieten lassen. Das untergräbt den guten Ruf Ihres Hotels.«
Der Portier zuckte die Achseln. »Was kann ich dagegen tun, gnädige Frau? Gast bleibt Gast.«
»Hören Sie zu! Mir liegt daran, daß Herr Schulze umgehend verschwindet. Die Gründe tun nichts zur Sache.«
Er verzog keine Miene.
»Sie sind ein intelligenter Mensch«, sagte sie. »Beeinflussen Sie den Hoteldirektor! Übertreiben Sie die Beschwerden, die gegen Schulze geführt wurden. Fügen Sie hinzu, daß ich niemals wieder hierherkomme, falls nichts unternommen wird. Herr Lenz geht übrigens mit mir d’accord.«
»Und was soll praktisch geschehen?«
»Herr Kühne soll morgen dem Schulze vorschlagen, im Interesse der Gäste und des Hotels abzureisen. Der Mann ist offensichtlich sehr bedürftig. Bieten Sie ihm eine pekuniäre Entschädigung an! Die Höhe der Summe ist mir gleichgültig. Geben Sie ihm dreihundert Mark. Das ist für ihn ein Vermögen.«
»Ich verstehe«, meinte der Portier. »Um so besser«, meinte sie hochmütig. »Was Sie von den fünfhundert Mark übrigbehalten, gehört selbstverständlich Ihnen.«
Er verbeugte sich dankend. »Ich werde tun, was in meinen Kräften steht, gnädige Frau.«
»Noch eins«, sagte sie. »Wenn dieser Herr Schulze morgen nachmittag nicht verschwunden sein sollte, reise ich mit dem Abendzug nach Sankt Moritz. Auch das wollen Sie, bitte, Ihrem Direktor ausrichten!« Sie nickte flüchtig und ging in die Bar. Das Abendkleid rauschte. Es klang, als flüsterte es in einem fort seinen Preis.
Das achtzehnte Kapitel - Zerstörte Illusionen
Am nächsten Morgen kurz nach acht Uhr klingelte es bei Frau Hagedorn in der Mommsenstraße. Die alte Dame öffnete.
Draußen stand der Lehrling vom Fleischermeister Kuchenbuch. Er war fast zwei Meter groß und wurde Karlchen genannt.
»Einen schönen Gruß vom Meister«, sagte Karlchen. »Und um zehn Uhr würde der Doktor Hagedorn aus den Alpen anrufen. Sie brauchten aber nicht zu erschrecken.«
»Da soll man nicht erschrecken?« fragte die alte Dame.
»Nein. Er hat uns gestern abend ein Telegramm geschickt, und wir sollten Sie, bitte, auf ein freudiges Ereignis vorbereiten.«
»Das sieht ihm ähnlich«, sagte die Mutter. »Ein freudiges Ereignis?
Ha! Ich komme gleich hinunter. Moment mal, ich hole Ihnen einen Sechser. Für den Weg.« Sie verschwand, brachte einFünfpfennigstück und gab es Karlchen. Er bedankte sich und rannte polternd treppab. Punkt neun Uhr erschien Frau Hagedorn bei Kuchenbuchs im Laden.
»Karlchen hat natürlich wieder einmal Quatsch gemacht«, meinte die Frau des Fleischermeisters. »Sie kommen eine Stunde zu früh.«
»Ich weiß«, sagte Mutter Hagedorn. »Aber ich habe zu Hause keine Ruhe. Vielleicht telefoniert er früher. Ich werde Sie gar nicht stören.«
Frau Kuchenbuch lachte gutmütig. Von Stören könne keine Rede sein. Dann gab sie der alten Dame die Depesche und lud sie zum Sitzen ein.
»Wie er sich hat!« meinte Frau Hagedorn gereizt. »Er tut ja gerade, als ob ich eine Zimttüte wäre. So schnell erschrecke ich nun wirklich nicht.«
»Was mag er nur wollen?« fragte die Meistersfrau.
»Ich bin schrecklich aufgeregt«, stellte die alte Dame fest.
Dann kamen Kunden, und sie mußte den
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