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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Lebensgefahr zurückzulassen und ohne eine Erklärung zu verschwinden. Am 17. November, einen Tag zuvor also, hat Herr Alsina den Vater seiner Freundin zum ersten Mal in seinem Leben gesehen. Sie werden mir nachsehen, dass mir dieses Rätsel zu schaffen macht.
    A: Ich sehe Ihnen alles nach, auch die Tatsache, dass wir damit wieder am Ausgangspunkt unseres Gesprächs angelangt sind. Es gibt nur zwei rationale Erklärungen.
    F: Und die lauten?
    A: Herr Alsina ist entweder verrückt, oder er hat mich mit jemandem verwechselt.
    F: Sieht Ihre Tochter das auch so?
    A: Meine Tochter steht unter einem schweren emotionalen Schock. Ich glaube nicht, dass sie klar denken kann.
    F: Wissen Sie etwas über den Zwischenfall während der Aufführung am Sonntag?
     
    Sie wussten wirklich alles.
     
    A: Nichts Genaues. Soviel ich gehört habe, ist Herr Alsina im letzten Teil der Aufführung vom Programm abgewichen und hat das Finale verpatzt.
    F: Finden Sie das nicht eigenartig?
    A: Wenn Sie es genau wissen wollen: Es gibt an diesem Damián Alsina herzlich wenig, das ich nicht eigenartig finde.
    F: Haben Sie mit Ihrer Tochter über die Aufführung gesprochen? Hatte sie eine Erklärung dafür, dass er eigenmächtig das Programm geändert hat?
    A: Nein.
    F: Ein weiteres Zeichen dafür, dass Herr Alsina vielleicht nicht ganz normal ist.
    A: Möglich.
    F: Sie hat das Theater nach diesem Auftritt recht überstürzt verlassen. Vorher gab es offenbar einen heftigen Streit. Wissen Sie darüber etwas?
    A: Ich habe Giulietta erst wieder gesehen, als sie am Mittwochnachmittag in ihr Studio kam und mich dort vorfand, vor zwei Tagen also. Über das, was dem vorausging, sind Sie offenbar besser informiert als ich. Aber ehrlich gesagt sehe ich nicht, wo da eine Verbindung bestehen sollte. Anscheinend gab es zwischen Herrn Alsina und seinen Tanzkollegen erhebliche Spannungen. Aber das kann unmöglich mit mir zusammenhängen. Er muss mich mit jemandem verwechselt haben. Eine andere Erklärung gibt es nicht.
    F: Also gut, nehmen wir das einmal an. Hat er diesen Irrtum noch erkannt, bevor er das Land verließ?
    A: Möglich. Aber was ändert das?
    F: Ich versuche, logisch weiterzudenken. Herr Alsina traf mit seiner Aktion nicht nur Sie, sondern vor allem Ihre Tochter. Hatte er einen Groll gegen sie? Hatten die beiden Schwierigkeiten? Ergibt sich da vielleicht eine weitere Möglichkeit? Ging es bei der ganzen Geschichte vielleicht gar nicht in erster Linie um Sie, sondern um Ihre Tochter?
    A: Oder meine Frau? Oder den Postboten? Ich habe allmählich genug von diesem Gespräch. Sie reden daher, als wären meine Tochter oder ich für diesen ganzen Irrsinn verantwortlich.
    F: Nein. Das tut mir Leid, so habe ich das nicht gemeint.
    A: Ich habe nichts mehr zu sagen.
     
    Gesprächsende: 16:49
    Das Protokoll der Befragung wurde dem Befragten zur Durchsicht vorgelegt und von diesem auf jeder Seite paraphiert.
    Geschehen zu Berlin, den 26. November 1999
    Unterzeichnet
     
    Am Ende hatte er ein wenig die Kontrolle verloren.
    Worauf hatte der Mann nur hinausgewollt? Battin hatte sich von den Fragen in die Ecke gedrängt gefühlt. Der Beamte hatte ein bestimmtes Ziel verfolgt, wollte irgendetwas aus ihm herauslocken. Aber was?
    Wieso wusste die Polizei etwas von den eigenartigen Umständen der letzten Aufführung am Sonntagabend? Von Giuliettas Streit mit Damián? Er lebte mit der ganzen Tanzgruppe in einer Art Dauerkrieg. Bei Tango-Kompanien ging es offenbar genauso zu wie in Ballett-Ensembles. Und dieser Damián war eine Art Diva, ein frühreifer Alleskönner, der keine Gelegenheit ausließ, um seine Überlegenheit auszuspielen. Im letzten Teil der Show am Sonntagabend hatte es einen Zwischenfall gegeben, der Giulietta schockiert hatte. Damián war ohne Vorwarnung vom Programm abgewichen und hatte das ganze Ensemble blamiert. Aber Genaueres wusste Battin nicht darüber. Nur, dass es Streit gegeben hatte, heftigen Streit, sowohl zwischen den Tänzern als auch zwischen Damián und Giulietta, die sich offenbar auf die Seite der anderen geschlagen hatte.
    Er unterschrieb energisch und warf geräuschvoll den Kugelschreiber auf den Schreibtisch. Eine Thermoskanne neben ihm gab ein gurgelndes Geräusch von sich. Battin drückte genervt auf den Kannendeckel und ließ die Luft entweichen. Dann erhob er sich, ließ den unbequemen Bürostuhl von seinen Kniekehlen abfedern und streckte sich. Was für ein miserables Büro, dachte er noch, bevor er die paar Schritte zur Tür

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