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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Tasche.«
    Der Zollbeamte wiederholte seine Frage auf Spanisch.
    Dann geschah alles ganz schnell. Ihr Vater drehte sich zu ihr um und war gleichzeitig abgelenkt durch die Frage des Zollbeamten. »English please, no Spanish«, erwiderte er genervt und nahm mechanisch Giuliettas Tasche entgegen. »Was ist denn?«
    »Toilette«, sagte sie. »Ich komme gleich.«
    »When did you arrive?«, fragte der Zollbeamte jetzt, während Giulietta den ersten Schritt rückwärts Richtung Empfangshalle machte.
    »What?« Er blickte wieder zu Giulietta, dann auf den Zollbeamten, der seinen Pass in der Hand hatte.
    »Äh, why, Thursday.«
    »On business?«, hörte Giulietta noch, dann war sie außer Hörweite.
    Ihr Vater drehte sich verunsichert zu ihr um. Sie machte ihm ein Zeichen, dass sie gleich nachkommen würde, und ging dann rasch an dem Röntgenapparat vorbei. Ihr Herz schlug bis zum Hals. Was tat sie hier eigentlich? Wenn sie diesen Flug verpasste, war alles zu Ende. Sie schaute noch einmal zur Passkontrolle. Das Gespräch dort war noch in vollem Gang. Ihr Vater deutete auf irgendetwas in seinem Dokument. Gab es ein Problem? Wohl kaum. Sonst wäre er ja gar nicht ins Land gekommen. Sie musste eine Entscheidung treffen. Sofort. Nach Buenos Aires zurückfahren oder nicht? Lindsey müsste ihr helfen. Ihr Koffer war weg, bereits auf dem Weg nach Europa. Ihre Handtasche hatte ihr Vater. Sie besaß lediglich ihren Pass, ein gleich verfallenes Flugticket, die Kreditkarte ihrer Mutter und die Kleider, die sie auf dem Leib trug. Zurück in diese schreckliche Stadt. Wegen ihm?
    Ihr Vater hing noch immer an der Kontrolle fest. Gleich würde der Beamte den Ausreisestempel anbringen, und dann war er bereits nicht mehr in diesem Land. Selbst wenn er wollte, käme er nicht mehr zurück. Sie sah ihn von hinten. Dann schien das Problem plötzlich gelöst zu sein. Er drehte sich zur Eingangshalle um. Doch sie hatte sich mittlerweile so platziert, dass er sie schwerlich sehen konnte. Der Zollbeamte winkte ihn ungeduldig weiter. Er zögerte noch, runzelte verärgert die Stirn und blickte suchend um sich. Aber dann musste er den Weg freigeben. Andere Fluggäste drängten nach und schoben ihn weiter. Giulietta schaute hilflos zur Decke. Was sollte sie bloß tun?
    Geld. Sie brauchte Geld. Sie suchte einen Automaten und steckte die Kreditkarte hinein. Wie vor einer Woche. Sie schob die Scheine in ihre Hosentasche und drehte sich um. Dann kehrte sie in die Mitte der Halle zurück und bewegte sich auf die Toiletten zu. Doch auf halber Strecke blieb sie stehen, schaute unschlüssig um sich und kaute nervös an ihrem Daumennagel. Sie erwog, Lindsey noch einmal anzurufen. Doch sollte sie ihre Entscheidung davon abhängig machen, ob die Kanadierin sich dazu herabließ, ihr einige Dinge zu erklären, über die sie nicht Bescheid wusste? Esma? Auschwitz? Die Reaktion des Taxifahrers. Was sollte das alles mit Damiáns Tango zu tun haben? Und mit ihrem Vater …? Gab es doch eine Verbindung zwischen all diesen Dingen? Sie ging zum Ausgang. Die Türen glitten zur Seite, und im nächsten Augenblick umschloss sie die geballte Mittagshitze.
    Alles, was danach geschehen war, durchzog noch Monate später wie ein undeutlich aufgenommener Schwarzweißfilm ihre Erinnerung. Sie hatte nach links geschaut, zu den Taxis, die dort ankamen und Fluggäste abluden. Sie würde einfach ein Taxi nehmen und in die Stadt zurückfahren, direkt zu Lindseys Wohnung. Aus dem Augenwinkel hatte sie zu ihrer Rechten eine rasche Bewegung wahrgenommen, sich aber nicht darum gekümmert. An ihrem äußersten Blickrand war etwas geschehen, aber sie hatte die Taxis im Auge gehabt. Erst auf halber Strecke war ihr aufgefallen, dass von der Seite etwas auf sie zukam, etwas, das sich schnell bewegte. Sie verlangsamte unwillkürlich ihren Schritt, um nicht mit der Person, die sie noch für einen eiligen Reisenden hielt, zusammenzustoßen. Doch die Person änderte sogleich die Richtung und kam nun direkt auf sie zu. Erst jetzt riss sie jäh den Kopf herum, zuckte wie von einem Hieb getroffen zusammen und schaute fassungslos auf das Gesicht vor ihren Augen. Und noch bevor sie einen Laut des Erschreckens über die Lippen brachte, war dieses Gesicht bis auf Armeslänge an sie herangekommen, spürte sie einen harten Griff an ihrem Unterarm und hörte eine vor unterdrücktem Zorn sich fast überschlagende Stimme: »Was zum Teufel tust du? Warum fliegst du nicht nach Hause?«

28
    S ie starrte ihn

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