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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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ihn regelrecht entstellte. Sein Haar war fettig. Seine Augen blutunterlaufen und von einem ungesunden Glanz erfüllt. Stand er unter Drogen? Er sah aus wie ein Clochard. Er trug ein kariertes Flanellhemd und eine zerrissene, speckige Baumwollhose. Seine nackten Füße waren schmutzig und steckten in Plastiksandalen. Wer war dieser Mensch?
    Auf einmal waren sie auf einer Art Autobahn, fuhren jedoch nur ein paar hundert Meter, rollten dann eine Rampe hinab und befanden sich endlich in einem Bezirk, der dem Stadtbild von Buenos Aires entsprach. Damián fuhr um einige Ecken herum und steuerte dann auf eine Einfahrt zu, die in eine Tiefgarage führte. Er parkte den Wagen und befahl ihr, auszusteigen.
    Sie betraten einen Lift und fuhren in den siebzehnten Stock. Benzin- und Schweißgeruch stiegen ihr wieder in die Nase. Sie standen einander gegenüber, aber Giulietta schaute beklommen zu Boden. Er machte keine Anstalten, sich zu erklären. Er atmete hörbar. Er war nervös. Panisch nervös. Außerdem schien er müde zu sein. Er gähnte mehrfach. Und er schwieg.
    So weit sie das erkennen konnte, bestand die Wohnung aus einem einzigen Zimmer. Marta Guitierrez, hatte sie auf dem Türschild gelesen. Nicht seine Wohnung? Neben der Eingangstür führte ein Gang zu einer kleinen Küche, und rechts davon gab es eine geschlossene Tür mit einem Milchglasfenster, die vermutlich zu einem Bad gehörte. Damián verschloss sorgfältig die Eingangstür, verriegelte alle beiden Schlösser und hängte eine Kette vor. Giulietta war mitten im Zimmer stehen geblieben und schaute ihn erwartungsvoll an.
    »Setz dich doch«, sagte er ruhig. »Hast du Durst?«
    Sie nickte. Er verschwand in der Küche und kehrte mit einer Flasche Wasser und einem Glas zurück.
    »Hier. Im Kühlschrank ist Eis. Ich komme gleich.«
    Damit ließ er sie stehen und verschwand im Badezimmer.
    Giulietta setzte sich und musterte den weitgehend leeren Raum. Die Wände waren völlig kahl. Eine Glühbirne hing ohne Lampenschirm von der Decke. In der Ecke neben dem Fenster lagen ein Koffer und eine Reisetasche, beide halb offen und mit herausquellenden Kleidungsstücken. Auf der Reisetasche sah sie einige wattierte braune Umschläge. Sie musterte die dunkelblaue Couch daneben und das braune Parkett zu ihren Füßen. Das Geräusch von fließendem Wasser drang unter der Badezimmertür durch. Sie ging auf das Fenster zu, das die ganze Breite des Zimmers einnahm. Man konnte von hier einen großen Teil der Stadt überblicken. Sie erkannte jedoch nichts wieder. Häuser. Parks. Boulevards. Sie hatte keine Ahnung, wo sie sich befand.
    Sie setzte sich auf die Couch, öffnete die Wasserflasche und trank. Hundertmal hatte sie sich diese Begegnung vorgestellt. An jedem erdenklichen Ort. Aber nicht so. Nicht hier. Hinter dieser Tür war Damián? Was war am Flughafen geschehen? Warum war er dort gewesen? Warum hatte er sie beobachtet? Sie ging in die Küche, schaute sich kurz um, fand sie ebenso leer und unbenutzt wie den Rest der Wohnung und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Ihr Blick fiel wieder auf die Umschläge. Es klebten deutsche Briefmarken darauf. Die Adresse kannte sie mittlerweile. Es war Nieves’ Adresse. An Herrn Damián Alsina c/o Cabral. Jufre 1342. Buenos Aires. Capital Federal. Argentina. Sie beugte sich herunter und versuchte, den Absender zu entziffern. Dr. P. Jahn und Partner. Rechtsanwälte. Fasanenstraße 37. Auf einer der Briefmarken war das Datum des Poststempels lesbar: 4. März 1999.
    Jetzt hörte sie das Rauschen der Dusche. Die Versuchung war groß, aber sie rührte die Umschläge nicht an. Sie würde die Erklärungen gleich aus seinem Mund hören. Warum korrespondierte er mit einem Anwalt in Berlin? März 1999.
    Sie nahm wieder auf der Couch Platz. Trotz der Hitze waren ihre Hände eiskalt. Sie durchspähte den Raum nach einem Telefon. Aber es gab keines. Die Dusche rauschte. Draußen war der Himmel weiß geworden. Das Licht wirkte nun schmutzig. Sie dachte an ihren Vater am Flughafen. Würde er fliegen? Ohne sie? Was um alles in der Welt war nur in den letzten zwei Wochen geschehen? Wie war sie in diese Situation geraten?
    März 1999. Das Gespräch mit Lindsey fiel ihr ein. »Plötzlich wollte er unbedingt diesen Auftrag in Berlin haben.« Sie betrachtete erneut die braunen Umschläge, rührte sie jedoch nicht an. Dann erstarb das Duschgeräusch. Giulietta fröstelte immer mehr. Sie zog ihre Strickjacke fester über ihrem dünnen Sommerkleid zusammen und

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