Drei Minuten mit der Wirklichkeit
betrachtete die Gänsehaut auf ihren Beinen. Dann streifte sie ihre Sandalen ab, winkelte ihre Beine unter sich an und wartete, dass er aus dem Bad kommen würde.
29
S eine Haare waren nass nach hinten gekämmt. Er trug einen weißen Bademantel. Ihn plötzlich rasiert zu sehen, war fast genauso erschreckend wie zuvor mit Bart. An zwei Stellen am Hals blutete er leicht. Er wirkte plötzlich schüchtern. Er mied ihren Blick, legte sein Kleiderbündel neben der Badezimmertür auf den Boden, ging dann in die Küche und kehrte mit einem Glas Wasser zurück. Die ganze Zeit über ließ sie ihn nicht aus den Augen. Als er sich schließlich neben ihr auf die Couch setzte, griff sie nach seiner Hand. Sie spürte, dass er sie zurückziehen wollte, es dann aber doch nicht tat. Er trank und schaute sie gleichzeitig an. An zwei Stellen hatte der Kragen des Bademantels bereits die leicht blutenden Rasierwunden gestreift und sich ein wenig rot gefärbt. Sie beugte sich vor und arrangierte den Kragen mit zwei Handgriffen so, dass er außer Gefahr war.
Damián ließ sie gewähren. Dann setzte er sein Glas auf dem Schenkel ab und schaute auf ihre Hand. Sie sah, dass er abgenommen hatte. Seine Wangenknochen stachen hervor. Auf seinen Zähnen waren Nikotinflecken zu sehen.
»Wohnst du hier?«, fragte sie schließlich, um das peinliche Schweigen durch irgendeinen belanglosen Satz zu brechen.
»Nein. Nicht direkt.«
»Seit wann weißt du, dass ich hier bin?«
Er zuckte mit den Schultern, sagte jedoch nichts.
»Ich habe das Gefühl, dass mich jeder Mensch hier belügt. Jeder. Du auch, nicht wahr?«
Er schwieg, spielte mit seinem Glas und schaute verlegen zur Seite.
Sie zog ihre Hand zurück und hüllte sich fester in ihre Jacke.
»Ist dir kalt?«, fragte er.
»Ja.«
Er griff unter die Couch, öffnete eine Schublade, zog eine Decke hervor und legte sie ihr um die Schultern.
»Ist es wegen ihr, wegen Nieves?«, fragte sie.
Sie wusste, dass das nicht sein konnte. Aber so war ein Anfang gemacht. Reden. Sie musste endlich reden.
»Ich hätte nie gedacht, dass du hierher kommen würdest«, sagte er. »Niemals.«
Was hatte das mit ihrer Frage zu tun? Sie wartete noch einen Moment, aber als er keine Anstalten machte weiterzusprechen, fuhr sie einfach mit ihren Fragen fort. »Damián, was ist in Berlin passiert? Zwischen dir und meinem Vater?«
»Ein Missverständnis.«
Sie nickte leicht mit dem Kopf und schnippte dann kurz mit dem Finger. »Aha …«
Etwas in ihr geriet plötzlich in Bewegung. Sie spürte eine so gewaltige Aggression gegen ihn, dass sie der Versuchung widerstehen musste, ihr Glas in seinem Gesicht zu zerschmettern. Sie stellte es behutsam auf dem Boden ab. »Einfach so. Ein Missverständnis. Bindest du immer Leute auf Stühlen fest, mit denen du ein Missverständnis hast?«
Er zuckte wieder mit den Schultern. »Kommt auf das Missverständnis an.«
Ihre Bewegung war so schnell, dass er keine Chance hatte. Ihre Hand traf seine Wange mit einem knallenden Geräusch. Sein Kopf flog zur Seite, aber noch bevor er Zeit hatte zu reagieren, flog ihre linke Hand nach vorne und traf seine andere Wange. Vielleicht war es auch der laute Heulton, mit dem sie auf ihn losging, der ihn kurzzeitig gelähmt hatte.
»Ich kann all diese Scheißlügen nicht mehr hören«, schrie sie und trommelte auf seine Arme ein, die er endlich schützend gegen ihren Angriff erhoben hatte. Er war rücklings von der Couch auf den Boden gerutscht und hatte zunächst keine Möglichkeit, sich von ihr zu befreien. Doch am schlimmsten war ihr Gesicht. Es war vor Zorn und Verzweiflung völlig verzerrt.
»Warum tust du mir das an, he? Was … was habe ich dir denn getan, du mieses Arschloch?«
Ihre Stimme überschlug sich. Ihr Haar hatte sich gelöst und fiel ihr ins Gesicht. Damián gelang es endlich, sich umzudrehen und sich zur Seite wegzurollen. Sie verlor das Gleichgewicht, fiel neben ihm hin, richtete sich jedoch schneller wieder auf als er.
»Rühr mich nicht an!«, schrie sie und wich an die Wand zurück.
Die Warnung war unnötig. Damián machte keinerlei Anstalten, ihren Angriff zu erwidern. Er lag benommen auf der Seite und schaute sie finster an. Durch den Fall war sein Bademantel auseinander geglitten, und er beeilte sich, seine Blöße zu bedecken. Dann fuhr er sich mit der Hand über die Wangen und lehnte sich schließlich gegen die Couch. Giulietta stand zitternd an die Wand gelehnt und starrte auf ihn herab, selbst geschockt über
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