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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Lehrer. Herrn Ortmann aus Bottrop. Außerdem gibt es die Deutsche Welle im Fernsehen.«
    »Aus Bottrop. Das ist ja komisch.«
    »Warum?«
    »Na ja, das klingt so banal. Du kommst von so weit her und kennst Bottrop.«
    »Ich kenne sogar Herxheim und Wipperfürth.«
    Er rollte das R und sprach die Wörter aus, als wären es unkontrollierbare Zungenbrecher. Giulietta kicherte.
    »Warum heißt du Giulietta?«, fragte er. »Ist ja nicht unbedingt ein deutscher Name.«
    »Mein Vater wollte mich Julia taufen. Meine Mutter war dagegen. Sie meinte, der Name brächte Unglück. Giulietta war ein Kompromiss.«
    »Kleine Julia …«, flüsterte er. Er schaute sie verliebt an. Da durchfuhr sie plötzlich eine solche Welle von Zärtlichkeit für ihn, dass sie einfach seinen Kopf ergriff, ihn zu sich hinabzog und erregt ihre Lippen auf die seinen presste. Sie küssten sich lange und schlangen fest die Arme umeinander. Sie spürte, wie seine Erektion zurückkehrte und sie erneut auszufüllen begann. Sie begann, sich im Rhythmus zu seinen Hüften zu bewegen. Ihr Verstand signalisierte bereits wieder Einwände, aber sie fegte sie beiseite und überließ sich anderen Kräften, die durch ihren Körper irrten.
    »Ich liebe dich«, flüsterte er wieder. »Auch wenn du mir nicht glaubst. Du wirst schon sehen. Du bist meine Frau. Mein hellstes Licht …«
    Sie hatte keinerlei Vorstellung davon gehabt, wohin diese Begegnung führen würde. Solange er in ihrer Nähe war, verdrängte sie jegliche Überlegung. Sie wollte diesen Abend bis zum allerletzten Augenblick genießen. Was geschehen war, war so außergewöhnlich und wundervoll, dass sie das Erlebnis durch keinen Gedanken gefährden wollte. Du bist nur eine schnelle Nummer für ihn, sagte eine giftige Stimme in ihr. Du wirst dafür bezahlen, teuer bezahlen. Hinter einem solchen Mann steht mit Sicherheit eine andere Frau. Valerie hat dich ja gewarnt, Vorsicht mit diesen Latinos. Er hat dich überrumpelt. Aber das stimmte nicht. Sie hatte das genau so gewollt. Nur deshalb war sie aus diesem Theater weggelaufen.
    Sie verbrachten die ganze Nacht, den nächsten Tag, die darauf folgende Nacht und den halben Sonntag zusammen. Irgendwann war die Matratze der Schlafcouch in die Mitte des Studios gewandert, und außenherum lagen sämtliche Kissen und Decken, die sie besaß. Nachts um drei überkam sie plötzlich Hunger, und sie hatten aus Tunfischkonserven, Tomatensoße und Spaghetti eine mehr oder minder essbare Pampe zusammengerührt. Dann tranken sie Tee, da der Wein leer war, beschlossen danach, zu baden, lagen später wieder auf ihrem Lager und cremten sich gegenseitig ein, bis sie beim ersten Schein der Morgendämmerung schließlich einschliefen.
    Der Samstag verlief ebenso. Nachdem sie erwacht waren, schmusten sie so lange herum, bis sie vor lauter Erregung nicht aus den Kissen herausfanden, und danach waren sie zu erschöpft für Unternehmungen außerhalb des Bettes. Irgendwie gelang es Giulietta, einen Kaffee zu kochen, und ein paar Kekse fanden sich auch irgendwo. Einige Male klingelte ihr Mobiltelefon, aber sie schaute nur auf die Anzeige und antwortete nicht. Am frühen Abend gingen sie um die Ecke in ein griechisches Restaurant, aßen ein wenig, hatten jedoch seltsamerweise beide keinen richtigen Hunger, kauften dann noch eine Flasche Wein und liefen eng umschlungen die Treppe zu ihrem Studio hinauf.
    Die zweite Nacht war noch schöner gewesen als die erste. Sie musste sich jetzt verbieten, daran zu denken. All die wundervollen Dinge, die er ihr gesagt und gezeigt hatte. Es war ihr gleichgültig gewesen, ob seine Gesten wirklich das bedeuteten, was er vorgab, oder nur Ausdruck seiner Lust und einer gewissen Fertigkeit waren. Diese zweite Nacht hatte sie restlos verzaubert. Als er am Sonntagnachmittag schließlich ging und sie allein zurückblieb, kam sie sich leer und erschöpft vor, wie nach einem heftigen Fieber. Ihr Körper schmerzte und fühlte sich wund an. Sie räumte notdürftig auf, badete dann ausgiebig, ignorierte nach wie vor die Telefonarufe, die immer häufiger wurden, und hatte den Eindruck, einen Schiffsuntergang überlebt zu haben.
    So hatte das alles begonnen, vor gerade einmal neun Wochen. Und es endete damit, dass ihr Vater vorbeikam.

5
    S ie war eingeschlummert. Im Fernsehen liefen bei abgeschaltetem Ton die Tagesthemen. Das Klingeln an der Tür hatte sie hochschrecken lassen, und im ersten Augenblick wusste sie nicht, wo sie war.
    Jetzt, hier in diesem Flugzeug,

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