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Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Drei Minuten mit der Wirklichkeit

Titel: Drei Minuten mit der Wirklichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfram Fleischhauer
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Ortmann. Damián. Dieses Land war ein Land von Wahnsinnigen. Von Verrückten. El loco. Las locas. Was hatte diese Amerikanerin in ihrem Hotel vor ein paar Tagen noch gesagt? Ein wichtiges Wort ist das hier: verrückt.
    Plötzlich ergriff Nieves ihre Hand. Giulietta war völlig überrumpelt. Sie erschrak über die Berührung, aber sie war viel zu überrascht, um sich zu wehren. Nieves ging voran und führte sie an der Hand aus dem Tanzsaal hinaus auf den Treppenabsatz. Dann schloss sie die Tür hinter sich. Giulietta wurde bleich. Sie wollte weglaufen, aber Nieves versperrte ihr den Weg zur Treppe. Diese Frau war nicht zurechnungsfähig. Jede falsche Bewegung würde sie reizen und möglicherweise zu einer unkontrollierbaren Handlung hinreißen. Giulietta bekam Angst. Mit dieser Situation konnte sie nicht umgehen. Nieves war stärker als sie. Sie spürte noch den harten Griff ihrer Finger auf ihrem Unterarm. Sie wird mich wieder schlagen, dachte sie panisch. Was sollte sie nur tun? Womit sollte sie sich bloß verteidigen? Mit ihrem Rucksack vielleicht, den sie in der Hand trug? Was für eine lächerliche Situation.
    Nieves kam auf sie zu, blieb jedoch einige Schritte vor ihr stehen und verschränkte erneut die Arme: »Jetzt hör mir mal gut zu, ja«, begann sie. »Du hast keine Ahnung, worauf du dich hier eingelassen hast. Damián und seine ganzen Scheißgeschichten stehen mir hier.« Sie mimte einen Handkantenschlag gegen ihre Kehle. »Fahr nach Hause. Oder komm jedenfalls nicht zu mir. Ich habe keine Ahnung, wo er ist. Jedenfalls nicht bei mir. Und ich habe seit Monaten nichts mehr mit ihm zu tun, verstehst du.«
    Nieves bebte vor Erregung, aber sie hatte sich einigermaßen unter Kontrolle. Sie würde sie nicht angreifen. Giulietta würde später darüber nachdenken, ob es der Gedanke an Damián war, der sie so aufbrachte, oder die Tatsache, dass Giulietta sie mit ihrem Erscheinen hier offenbar maßlos provoziert hatte. Gegenwärtig wollte sie nur weg hier, raus aus diesem Gebäude, außer Hörweite von Nieves’ Wortschwall, der sich über sie ergoss.
    »Er ist ein verfluchter Zombie. Er zerstört jeden, der sich ihm nähern will. Weil er selber zerstört ist. Er ist schon lange tot und ernährt sich von allem und jedem, der ihm zu nahe kommt. Und alle sind schuld an seiner Misere, bloß er selber nicht, dieser verfluchte
hijo de puta
. Da hast du deinen Damián mit seiner Scheißkindheit, Adoptionstrauma und was sonst noch für lächerlichem Psychodreck, den er über alles und jeden ausleert, als ob er der einzige Mensch auf der Welt wäre, der Probleme hat.
Hijo de la mierda. Huerfano de la putisima mierda.
Wenn jeder
orphelin
so herumspinnen würde wie er …«
    Giulietta konnte kaum folgen. Sie redet überhaupt nicht mit mir, dachte sie. Es ist wie in Berlin. Ich stehe schon wieder im Weg und kassiere die Ohrfeigen, die für Damián bestimmt sind. Wie sehr musste Nieves ihn hassen. Mein Gott! Sie hörte überhaupt nicht mehr auf. Giulietta hatte zunehmend Mühe, das mit spanischen Schimpfwörtern durchsetzte Französisch zu verstehen. Wovon redete sie überhaupt. Orphelin? Adoption? Damián war offenbar Waise. Die Alsinas seine Adoptiveltern. Was hatte denn das nun mit der ganzen Situation zu tun? Was sollte sie damit anfangen? Nieves unterbrach ihr Geschrei einen Augenblick, und Giulietta hob die Hand: »Stopp!«
    Nieves hielt inne, dann trat sie einen Schritt zur Seite und machte den Weg zur Treppe frei. Die spanischen Wörter, die ihr dabei aus dem Mund quollen, ergaben vermutlich ein vollständiges Lexikon der Geschlechtsteile und Ausscheidungsorgane des menschlichen Körpers. Giulietta wartete noch einen Augenblick, bis diese verbale Kloake wieder zu versiegen begann. Dann ging sie einfach an ihr vorbei und die Treppe hinab. Das Scheusal schien sich ausgekotzt zu haben. Eine Tür fiel krachend ins Schloss. Die letzten Stufen nahm sie im Laufschritt und rannte auf die Straße hinaus.

17
    P ablo ließ sie herein.
    Tagsüber sah das Haus sehr viel freundlicher aus. Die Ausmaße dieses Anwesens hatte sie gestern Nacht durch den Stromausfall überhaupt nicht richtig wahrgenommen. Jetzt sah sie, dass der Innenhof prächtig bepflanzt war. Handtuchgroße Blätter ragten aus verwachsenen Büschen, deren Namen Giulietta nicht kannte. Sie hatte schon einmal einen Bananenbaum in einem botanischen Garten gesehen, aber das Zeug hier sah anders aus. Doch im Grunde war ihr völlig egal, was hier wuchs. Sie wollte Lindsey

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