Drei Seiten für ein Exposé
Erfolgsaussichten dieser Suche zu optimieren, arbeitet er zunächst ein Zehn-Punkte-Programm aus, welches unter anderem einen Tanzkurs, den Kauf von Flirtbüchern und Sexratgebern und die Anschaffung von vier verschiedenen Kondomsorten vorsieht
.
Leider erweist sich die Sache trotz seines perfekten Konzepts als erheblich schwieriger als erwartet, weil die drei Jahre seiner selbstgewählten Isolation ihn zu einem kontaktscheuen Einzelgänger gemacht haben
.
Die ungefährlichste Methode, seine kommunikativen Fähigkeiten durch Training schrittweise zu verbessern, ist natürlich die, sich dazu der Anonymität des Internets zu bedienen
.
Genau dies tut Paul auch, und schon bald lernt er in einem Chat Marlene kennen, eine sehr selbstbewusste, lebenslustige Enddreißigerin, die in ihrem beeindruckend originellen Profil ganz unverblümt ihr Interesse an einem intelligenten, erfahrenen, dominanten Lover bekundet
.
Marlene findet Paul auf Anhieb amüsant und sympathisch
.
Weil er aber auf sie einen eher devoten Eindruck macht und auf ihre direkten Fragen hin zu allem Überfluss auch noch gestehen muss, auf sexuellem Gebiet nicht besonders erfahren zu sein, weist sie ihn als Lover-Anwärter zurück
.
Für Paul ist ihre Entscheidung allerdings keineswegs eine endgültige
.
Seiner Ansicht nach war der Grund für ihre ablehnende Haltung vor allem seine allzu lange sexuelle Abstinenz
.
Daher beschließt er, sich von nun an jeden Samstag ins kleinstädtische Nachtleben zu stürzen, um seine unfreiwillige Keuschheit möglichst bald zu beenden und sich im Anschluss daran noch einmal bei ihr zu bewerben
.
Tatsächlich gelingt es ihm nach einer Reihe mehr oder weniger kläglich gescheiterter Versuche, eine stockbesoffene Schnapsdrossel abzuschleppen. Sie hat auch überhaupt nichts dagegen, mit ihm zu schlafen, doch als er sie kurz allein lässt, um noch rasch zu duschen, schläft sie auf seinem Wohnzimmersofa ein, und als sie am Morgen wieder erwacht, hat sie begreiflicherweise keine Lust mehr auf Sex mit einem Mann, an den sie sich überhaupt nicht erinnern kann
.
Zunächst ist Paul bitter enttäuscht. Dann aber beschließt er, diesen halben Erfolg Marlene gegenüber als ganzen auszugeben
.
Eine Lüge mit fatalen Folgen …
Lektorat
Die Partnersuche als Aufgabe, die es mit dem Studium von Flirt- und Sexratgebern zu bewältigen gilt. Danach ist man diplomierter Sexpartner, nur leider hat der eifrige Student die praktischen Übungen vergessen, weshalb …
Das könnte ein witziges Buch werden. Aber im Exposé fehlt die Logik. Wieso glaubt Paul, dass sein Abenteuer mit der Schnapsdrossel ihn in Marlenes Augen zu einem begehrenswerteren Partner machen würde? Zumal ja jeder behaupten kann, jetzt habe er die nötige Praxis erworben?
Und dem Exposé fehlt dann doch etwas der Witz, den ein solches Exposé erfordert. Was passiert sonst noch in dem Text, außer, dass Paul übers Internet eine Partnerin sucht und, um seine Chancen zu verbessern, das heimische Nachtleben unsicher macht? In einem witzigen, absurden Exposé sollten einige witzige, absurde Vorfälle aufscheinen.
Und wie ist es mit der offenen Frage am Schluss: „Eine Lüge mit fatalen Folgen …“. Darf man im Exposé das Ende offen lassen?
Ich finde, ja. In diesem Falle wäre ein guter Klappentext durchaus denkbar. Schließlich handelt es sich um ein witziges Manuskript, da steht der Witz im Vordergrund, weniger das Ende.
Aber dann müsste er wirklich überzeugend sein, müsste der Text für sich sprechen, einige absurde Szenen anreißen, sich nicht nur auf die Ausgangssituation beschränken, die zwar Witz verspricht, aber das Versprechen nicht einlöst.
Übung
Schreiben Sie das Exposé zu „Der Lover“. Schreiben Sie es humorvoll, mit ein wenig Witz, verwenden Sie das, was im Lektorat dazu genannt wurde. Sagen Sie nicht: Ich kann nicht witzig schreiben. Hier geht es nicht um Perfektion, Sie müssen sich nicht verbiegen. Versuchen Sie einfach, die witzigen, absurden Seiten der Geschichte aufscheinen zu lassen.
Die Erzählstimme beibehalten
Auch ein Exposé hat eine Erzählstimme. Nicht so ausgeprägt wie der Text selbst, aber alles andere als unwichtig. Bei dem Exposé „Der Lover“ habe ich schon einiges dazu gesagt: Die Erzählstimme kann witzig oder traurig sein, hart oder sentimental, gefühlvoll oder schnoddrig.
Und diese Erzählstimme sollte man beibehalten. Wenn Ihr Exposé witzig und absurd anfängt, sollten Sie nicht in eine abgebrühte
Weitere Kostenlose Bücher