Drei Wünsche
Oktober selbst das Klatschen der Peitsche auf nacktem Fleisch und die Schreie aus dem Innenhof gehört hatte, war sie nicht mehr in Versuchung gekommen. Anders als die meisten hatte sie ja nicht aus Not stehlen müssen, jedenfalls nicht aus Hunger, die Schaffer’schen Geschäfte gingen in den letzten Jahren erheblich besser, als es nach außen schien.
Und dann hatte sie sich eines Tages, als die späte Oktobersonne so mild und golden war und die Bäume und Büsche in ihrem Herbstlaub von solch besonderer Schönheit, in den Malthus’schen Garten beim Gänsemarkt verirrt. Es war sonst nicht ihre Art, nur herumzuschlendern und die Sonne und die Welt zu genießen, an diesem Tag hatte sie es getan, und als sie vor dem hohen schmiedeeisernen Tor stand, war sie hindurchgeschlüpft. Wie in ein fremdes Land. Sie war Hunderte Male an dem Garten hinter seinen hohen Hecken vorbeigegangen, aber nie hinein.
Hinter diesen Hecken wurde der Lärm der Stadt sanfter, es duftete herb, und die herbstliche Müdigkeit der Pflanzen, ihre letzte Anstrengung, Blüten zu treiben, war von süßer Melancholie. Wie eine Sehnsucht. Nie hatte Elsie sich vorgestellt, der Garten sei so groß. Als es schon höchste Zeit war umzukehren, hatte sie am Alsterufer die Kate entdeckt. Vor der Kate stand ein Mann, er kaufte von zwei Frauen, was sie an diesem Tag an Samen und Nüssen von wildwachsenden Pflanzen vor den Toren für den Malthus’schen Handel gesammelt hatten.
Die beiden Frauen waren Elsi egal gewesen, sie hatte sie nicht einmal wirklich gesehen. Nur den Mann, den noch sehr jungen Mann, dessen Blick sie flüchtig traf. Ein Blick aus kühlen blauen Augen, er hatte sich gleich wieder den Sammlerinnen zugewandt. Ganz sicher, so hatte Elsi beschämt gedacht, hatte er erkannt, dass sie keine sei, die für einen eigenen Garten außerhalb der Wälle einkaufen konnte.
Dass er einen Gehilfen hatte, ein Kind von vielleicht zehn oder zwölf Jahren, war ihr erst nachträglich aufgefallen, als sie schon auf dem Hauptweg zurück zum Tor eilte, und auch warum er den brauchte: Er hatte nur einen Arm. Natürlich war das sehr traurig, aber sie fühlte eine kleine Welle von Freude. Er war ein Gärtner, wohl ein angesehener Mann, zumindest arbeitete er für den größten Gartenhandel der Stadt, gewiss der ganzen Region, so einer musste auf seine Reputation achten und hatte kein Auge für eine Trödlertochter mit den Händen einer Taschendiebin. Andererseits: ein Mann mit nur einem Arm?
Und dann hatte sie sich selbst ausgelacht. Was für eine dumme Posse! Sie hatte ihn nie zuvor gesehen, und da sie keinen Garten hatte, würde sie ihn auch niemals wiedersehen. Wie dumm, wenn ihr Herz schneller klopfte. Wie dumm, solche Gedanken überhaupt zu haben, nur weil sie einen Mann mit weichem hellbraunem Haar in der Oktobersonne gesehen hatte, so wunderschön wie, wie – ihr fiel einfach kein Vergleich ein.
Sosehr sie sich bemühte, sie vergaß die flüchtige Begegnung im Malthus’schen Garten nicht. Es war nicht einmal eine echte Begegnung gewesen – trotzdem.
Elsi wäre nicht Elsi gewesen, wenn sie es dabei belassen hätte.
uletzt die Eichentruhe im Entree, auf ihrer vorderen Seite strahlten Intarsien in Form von zwei Sternen. «Zwölf», murmelte Theda, «jeder Stern zwölf Strahlen.» Die helle Seite aus Ahorn, die dunkle von indischem Palisander? Als die Frage, ob dieses Palisanderholz in Ostindien oder auf den Westindischen Inseln wuchs, in ihrem Kopf immer weiter im Kreis lief und sie das mit verdünntem Kiefernöl getränkte Tuch dazu immer weiter über die längst warm glänzenden Sterne rieb, ließ sie ihre Hände endlich in den Schoß sinken. Was tat sie mit dieser kostbaren Frist, mit diesen Tagen, die sie in ihrem Leben ganz für sich allein haben würde? Sie blieb feige hinter verschlossener Tür und tat, was sie immer getan hatte und auch zukünftig tun würde: Sie betrog sich selbst.
Es hatte ihr Gewissen beruhigt, für ihren unerlaubten Aufenthalt die Wohnung bis in die letzten Ecken zu putzen, auch das Silber, was viel Mühe gemacht hatte, nur nicht die Fenster, man hätte sie sehen und sich wundern können. Sie hatte auch nachdenken wollen, leider war ihr nichts eingefallen.
Nun war genug geputzt, fast drei Tage lang. Da war noch ein Korb mit Flickarbeiten, aber die waren gerade recht für die langen Abende. Sie würde nicht die Kerzen der Reimanns verschwenden, die billigen Talglichter in der Küche, sondern eigene kaufen. Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher