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Drei Wünsche

Drei Wünsche

Titel: Drei Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker , Andrea Offermann
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sogar ein oder zwei aus duftendem Bienenwachs. Sie wollte endlich das Haus verlassen, nicht nur bis zur Pumpe im Hof oder zur Backstube am Ende der kurzen Straße, sondern hinaus in die Stadt. Und zum Weihnachtsmarkt im Dom. All die Buden und Stände mit zahllosen Verlockungen – leider hatte sie kein Geld zu verschwenden. Was Madam Zoller ihr beim Abschied in einem bestickten Beutelchen zugesteckt hatte, brauchte sie für die nächsten Tage und für die Reise nach Aurich. Es war ihre Rettung gewesen und zugleich die Verführung zu diesen heimlichen Tagen.
    Sie streckte den steif gewordenen Rücken, löste die Schürze und brachte den Putzkorb in die Küche. Plötzlich hatte sie es furchtbar eilig, als bedeute jede Minute, die sie hinter der verschlossenen Tür verbrachte, Verschwendung von Lebenszeit.
    Genau das war es, dachte sie, als sie hastig die Hände von Schmutz und Öl befreite. Wenn sie sich nicht endlich in die Welt dort draußen wagte, hätte sie gleich nach Hause fahren können. Zurück in das Leben, dem sie vor fünf Jahren entflohen war.
    Entflohen klang ein wenig pompös, aber so hatte sie es empfunden: als eine Flucht, wenn auch in allen Ehren mit einem Ehemann. Friedrichs Werben hatte sie nachgegeben und ihn geheiratet, um dieser von Stiefvater und Mutter eingefädelten Ehe mit einem preußischen Beamten und Witwer zu entkommen. Das Leben mit seinen vier Kindern hätte ihr gefallen, doch er war ein Misanthrop, in jeder Hinsicht geizig, strikter Gehorsam sein oberstes Gebot. Auch roch er muffig und säuerlich, sie kicherte nervös, muffig und säuerlich, ja, von dieser Art, die sich nicht abwaschen lässt. Das würde inzwischen kaum besser sein.
    Friedrich hingegen war ein freundlicher Mensch gewesen, und sie waren gut miteinander ausgekommen, hatten auch gerne ihr Bett miteinander geteilt. Das war viel. Er hatte für seinen neuen Anfang in der großen Stadt eine geschickte Helferin gebraucht – sie hatte fortgewollt. Egal wohin. So war auch diese Ehe ein Arrangement gewesen, aber ein selbstgewähltes, und für beide eine hoffnungsfrohe Zeit. Friedrich hatte recht gute Geschäfte gemacht, in drei oder vier Jahren, hatte er versichert, seien sie auf der Seite von Gewinn und Wohlstand. Doch dann, als das Marschenfieber im Gefolge der großen Flut anno 1771 auch in der Stadt Ernte gehalten hatte, war er gestorben. Ganz rasch. Alle Tage starben Menschen, junge wie alte, aber Theda hatte nicht daran gedacht, dass der Tod so schnell so nah kommen könne. Als sie sich auf den Weg zurück machen wollte, mutlos und matt, hatte Madam Zoller sie gerettet.
    Theda warf Wolltuch und Mantelumhang über die Schultern, nahm den Muff von der Truhe, er duftete nun ein wenig nach Kiefernöl, und verließ das Haus. Erhobenen Kopfes, als sei ihr Aufenthalt in der Reimann’schen Wohnung das Normalste von der Welt. Gleichwohl lag der Schlüssel schwer in der Tasche ihres Umhangs. Im Weitereilen – tatsächlich eilte sie plötzlich, und es fühlte sich gut an, als hole sie Versäumtes nach –, im Weitereilen steckte sie ihn in das sichere Innenfach des Muffs. Alles Mögliche mochte geschehen, den Schlüssel durfte sie nicht verlieren.
    Draußen empfing sie ein leichter frischer Wind, es hatte aufgeklart, der Himmel war hoch. Sie atmete tief und schmeckte die Luft, es roch nach Hafen, nach Flusswasser, irgendwo wurde Kaffee geröstet – den fauligen Gestank aus einem der Keller ignorierte sie. Heute war alles frisch und gut und weite Welt.
    Und nun? Zuerst zum Hafen? Was tun mit der Freiheit? Zuerst kreuz und quer durch die Stadt. Sie sehnte sich nach Trubel und Gedränge, nach dem Lärm vieler Menschen, Wagen und Werkstätten. Nach dem Leben. Plötzlich spürte sie keine Furcht mehr. Sie ertastete das steife Papier des Briefbogens in der Innentasche ihres Umhangs – auch das bereitete ihr nun keine Angst mehr, brachte nicht einmal Traurigkeit. Diese letzten Tage des alten Jahres gehörten ihr, zum Traurigsein war später Zeit, zum Beispiel, wenn sie in der Kutsche durch das Steintor aus der Stadt rollte. Wenn das neue Jahr seinen Lauf nahm.
    «Mein liebes Kind», hatte ihre Mutter geschrieben, so schrieb sie immer, obwohl Theda wahrlich kein Kind mehr war. «Mein liebes Kind. Warum willst Du Dienstbotin bleiben, wenn Du eine angesehene Ehefrau sein kannst? Unser verehrter Meyer-Hohne ist wieder Witwer geworden, zum zweiten Mal ging ihm eine Ehefrau im Wochenbett verlustig. Obwohl er ein so gottesfürchtiger Mann ist,

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