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Drei Wünsche

Drei Wünsche

Titel: Drei Wünsche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker , Andrea Offermann
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bequemer, lehnte sich zurück und beschloss, morgen würde sie beginnen und arbeiten, bis die ganze Wohnung blitzte. Bei genauem Hinsehen war das hier sowieso höchste Zeit. Morgen.
    Sie nahm die Bibel, das einzige Buch, das sie fand, und schlug sie blind auf, irgendwo, sie wollte etwas lesen, das die rastlose Kreiswanderung ihrer Gedanken unterbrach.
    Hiob! Sie hatte das Buch Hiob im Alten Testament aufgeschlagen. Gab es eine verzweifeltere Geschichte? Die wollte sie jetzt nicht lesen. Verzagt warf sie das schwere Buch auf den Tisch, die Kerzenflamme flackerte. Ein Flackern wie eine Mahnung, nein, eine Erinnerung. Plötzlich wusste sie, was sie lesen wollte, was ihrer Seele Balsam sein und Zuversicht geben musste. Sie schlug die Bibel noch einmal auf und blätterte mit eiligen Fingern. Sie wusste genau, wo sie suchen musste, diese Verse im Neuen Testament, die jeder Christ kannte. Selbst jene, die Gott spotteten, die behaupteten, er existiere nicht, diese Geschichte – da war sie, im Buch Lukas, und sie begann flüsternd zu lesen: «Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde …»

      
    lsi hatte erst kürzlich beschlossen, es sei allerhöchste Zeit zu entscheiden, wohin ihr Leben führen sollte. Dabei hatte sie zuerst an die Zukunftsaussichten gedacht, die keinesfalls eintreffen sollten. Man konnte nicht sagen, Anton Schaffer wäre schuld, dass sein einziges Kind eine ausgezeichnete Taschendiebin geworden war, er hatte es nur nicht verhindert, sondern ihre durch ausdauerndes Üben erlangte Geschicklichkeit mit heimlichem Vaterstolz beobachtet. Jedenfalls werde sie nicht hungern müssen, hatte er gedacht, falls er plötzlich nicht mehr sei. Er hatte nicht vor, in absehbarer Zeit zu sterben – er fühlte sich putzmunter – oder im Zuchthaus zu verschwinden, was in seinem Gewerbe passierte konnte, wenn man das Opfer ausdauernder übler Nachrede von kleinmütigen Kunden oder Konkurrenten wurde. Aber der Tod kam zuweilen schnell und unverhofft. Es war gut für seine Seelenruhe, wenn Elsi sich notfalls allein und durch ihrer Hände Arbeit ernähren konnte.
    Elsi, das muss dazu gesagt werden, war ein moralischer Mensch, weniger aus Furcht vor himmlischer Strafe als aus einem Gefühl für Gerechtigkeit, das sie nicht vom alten Schaffer geerbt haben konnte. So hatte sie nie arme Leute bestohlen, sondern nur solche, die aussahen, als werde der Diebstahl ihres Spitzentuchs, einiger schwerer Münzen oder eines losen Silberknopfs sie tüchtig ärgern, aber keinesfalls in Not bringen. Natürlich barg diese Wahl das größere Risiko – reiche Leute schlagen schnell Alarm und können am besten dafür sorgen, dass Dieb oder Diebin besonders hart bestraft werden. Sie hatte das immer gewusst und die größere Gefahr heimlich genossen. Es war aufregend gewesen in einem Leben, das sonst nicht viel an Abwechslung bot, und der Erfolg, das hieß Beute machen, ohne gefasst zu werden, war ungemein befriedigend.
    Doch dann, in diesem Sommer, war Martha geschnappt worden, ihre ein Jahrzehnt ältere Freundin und in diesem Gewerbe geschickte Lehrerin. Es war trotz großer Könnerschaft nicht das erste Mal, außerdem verdiente sie sich bei Gelegenheit als Hure ein Zubrot. So landete sie im Spinnhaus, diesem Albtraum aus Backstein und vergitterten Fenstern gleich neben dem Zuchthaus an der Binnenalster. Im Hof hatte sie die Peitsche spüren müssen, und nun schuftete sie dort von früh bis spät, sah kaum das Tageslicht, aß Wassersuppe, litt an der Krätze und zweifellos noch mehr an den Menschen dort, den Wärtern wie den Mitgefangenen. Niemand wusste, für wie lange.
    Elsi vermisste Martha sehr, manchmal brachte sie einen Beutel mit Äpfeln und frischem Brot, einem Stück Wurst oder kaltem Fleisch zum Spinnhaus. Sie hoffte, zumindest ein Teil davon werde in Marthas Bauch landen und nicht alles in denen der Wärter.
    Bis dahin hatte sie nicht darüber nachgedacht, beim ersten dieser Wege zum Spinnhaus war ihr jedoch klargeworden, dass sie dieses irdische Fegefeuer niemals aushalten könnte.
    Sie war erstaunt gewesen, wie schwer es ihr fiel, völlig auf den Griff in fremde Taschen zu verzichten. Das Leben war plötzlich grauer. In den ersten Wochen hatte es den einen oder anderen Rückfall gegeben, einmal an Spinnhaus und Zuchthaus vorbeigehen reichte jedoch, um sie nachdrücklich an ihren Vorsatz zu erinnern. Seit sie nicht nur wie jeder davon wusste, sondern im

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