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Drei Wunder zum Glück (German Edition)

Drei Wunder zum Glück (German Edition)

Titel: Drei Wunder zum Glück (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Bullen
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empfunden hatte. Als Wendy gestorben war, war Hazel noch sehr klein gewesen. Die ganze Beziehung zu ihrer Adoptivmutter war ein Flickenteppich aus Löchern, gewebt aus nebelhaften Erinnerungen, einer Handvoll von Roys Geschichten und dem Wissen, dass Wendy tot war.
    Auch wenn Hazel Rosannas Namen erst seit wenigen Monaten kannte, hatte sie sich doch ihr Leben lang vorgestellt, dass ihre leibliche Mutter irgendwo da draußen darauf wartete, gefunden zu werden. Allein dieser Gedanke war ein entfernter Trost gewesen, gleich den Schatten eines Bergmassivs am Horizont der Wüste: Die Perspektive, dass es jenseits der Berge irgendwo mehr als Wüste geben musste.
    Und jetzt war auch dieser Gedanke gestorben.
    Hazel lehnte sich gegen die Metallreling des Bootes. Niemand sonst war an Deck, jeder hatte sich bereits drinnen einen Platz gesucht, geschützt vor der scharfen Meeresbrise. Hazel spürte die Kälte gar nicht. Sie ließ den Kopf in die Hände fallen und schluchzte. Tränen tropften auf ihr kostbares handgenähtes Kleid.
    Zuerst Wendys Tod, dann ein Leben, in dem Hazel für kaum jemanden eine Rolle spielte, umhergeschickt wie ein überflüssiges Gepäckstück. Und jetzt das? Wie viel musste sie denn noch ertragen?
    »Es ist nicht fair«, flüsterte Hazel in ihre Ellenbeuge. »Ich wünschte, ich hätte sie vorher kennengelernt.« Mit einem abgehackten Schluchzen schlang sie die Arme um ihre Knie. Ihr Puls hallte in ihren Ohren wie ein Metronom, markierte die Zeit zwischen jedem Schluchzer und Schniefen.

    Zuerst fühlte es sich wie ein Kitzeln an, ein Zucken an ihrer Wange.
    Hazel dachte, es wäre eine Träne, die sich zwischen ihren Wimpern verfangen hätte, hob den Kopf und fuhr mit der Hand übers Gesicht. Aber das Kitzeln hatte aufgehört.
    Stattdessen spürte sie nun ein Flattern auf ihrem Knie, dort, wo sie ihre Wange gegen das Kleid gepresst hatte.
    Da entdeckte sie oberhalb der Knie am Saum ihres Rockes einen kleinen goldenen Fleck, wie ein Markenzeichen. Sie hob den Stoff leicht an, zog ihn weg von ihrem Knie und entdeckte einen winzigen eingestickten Schmetterling.
    Komisch, dachte sie. Den hatte sie vorher gar nicht bemerkt.
    Und dann geschah etwas. Sie musste träumen, denn es sah so aus – und fühlte sich so an –, als ob der Schmetterling sich bewegte.
    Hazel hielt den petrolfarbenen Stoff näher an ihre Augen, und zweifellos: Die kleinen goldenen Flügel bewegten sich, der Schmetterling befreite sich selbst aus dem Seidenstoff ihres Kleides.
    Hazel hielt sich am Geländer fest und drückte sich hoch auf die Füße. Das muss der Schock sein, dachte sie. So muss es sein, wenn Leute sagen, dass Trauer einen verrückt machen kann.
    Aber gerade als sie wieder anfing, etwas gleichmäßiger zu atmen, verspürte sie ein letztes Flattern an ihrem Knie und sah mit weit aufgerissenen Augen, wie der schimmernde Schmetterling sich von ihrem Kleid löste. Mit einem leichten Schlagen seiner zarten Flügel schwebte er einen Moment auf Augenhöhe, bevor er dann übers Wasser davonflatterte und im Schein der untergehenden Sonne verschwand.
    Hazel schüttelte den Kopf und ließ sich wieder gegen die Reling fallen, die Arme um die Tasche auf ihrem Schoß. Sie schloss die Augen und nickte ein, während das Schiff sich von der Küste entfernte, das dumpfe Dröhnen des Motors wiegte sie in den Schlaf.

5
    Das Erste, was Hazel beim Aufwachen bemerkte, war, dass sie sich immer noch auf einem Schiff befand. Und dass es Morgen war. Zumindest sah das Stück Himmel, das sie von ihrem Platz an der Reling aus sehen konnte, nach Morgen aus: blass, hellblau und von Wolkenstreifen durchzogen. Hatte sie wirklich die ganze Nacht auf der Fähre geschlafen? Sie mussten doch längst angelegt haben. Wie viele Fahrten durch die Bucht hatte sie dann wohl im Schlaf gemacht?
    Hazel fuhr mit den Fingern durch ihr schulterlanges Haar, versuchte, die verworrenen Strähnen im Nacken zu lösen und kniff automatisch die Augen dabei zu. Ihr tat alles weh, nicht zuletzt, weil sie zwischen einer Verstrebung und der Metallreling des Schiffs eingequetscht gesessen hatte. Aber vor allem tat ihr alles weh bei dem Gedanken an den letzten Abend.
    Vor ihrem geistigen Auge sah sie verschiedene Szenen und Gesichter: das Paar am Büfett, das kleine Mädchen mit den Strasshaarspangen, Rosannas Foto, eingefroren in einem Rahmen …
    Hazel seufzte und stand vorsichtig mit wackligen Beinen auf. Sie stützte die Hände auf die Reling und blickte hinaus aufs Wasser. Sie

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