Drei Wunder zum Glück (German Edition)
»Die Einzelheiten kenne ich auch nicht, Hazel, ich weiß nur, dass sie nicht schwanger werden kann. Was meinst du, warum sie uns alle dauernd um sich haben will? So viel Arbeit gibt es nun auch wieder nicht.« Jaime blickte zur Bushaltestelle. »Können wir jetzt bitte gehen?«, fragte sie.
Hazel schluckte, nickte wie betäubt und folgte Jaime über die Straße.
Weder Jaime noch Hazel redeten während der Überfahrt besonders viel. Jaime ließ sich unter Deck auf einen Platz fallen und griff sofort nach ihrem Kopfhörer, Hazel blieb oben. Unmöglich konnte sie stillsitzen und das Mädchen anstarren, das plötzlich anscheinend ihre Mutter war. Sie hatten noch nicht einmal den Hafen verlassen, und die Fahrt fühlte sich bereits wie die längsten fünfundvierzig Minuten ihres Lebens an.
Hazel ging aufs Oberdeck und suchte sich einen freien Platz in der vordersten Reihe der Plastikstühle, wo der Wind am stärksten war. Sie konnte kaum die Augen gegen die Gischt offen halten, aber das war ihr egal. Zumindest hatte sie dadurch etwas Echtes, wogegen sie ankämpfen konnte.
Sie dachte an das überfüllte Wartezimmer von vorhin. Jaime hatte in der Klinik Rosannas Namen benutzt. Was bedeutete, dass wahrscheinlich alle medizinischen Unterlagen der Klinik unter diesem Namen geführt wurden. Was wiederum bedeutete, dass Rosannas Name und nicht Jaimes auf ihrer Geburtsurkunde stehen würde, wenn diese Unterlagen an das Krankenhaus gingen, in dem Hazel zur Welt käme. Ob es ihr gefiel oder nicht, Jaime war ihre Mutter.
Und es gefiel ihr überhaupt nicht, kein bisschen! Sie wusste nicht warum, aber das einzige von allen tobenden Gefühlen, das sie hätte benennen können, war Wut. Sie war wütend.
Als Erstes auf Jaime, weil sie nicht besser aufgepasst hatte. Offensichtlich hatte Jaime sich dafür entschieden, mit jemandem zu schlafen, ohne sich zu schützen – oder sich zumindest nicht ausreichend zu schützen. Nicht, dass sie selbst da große Erfahrung hatte, dennoch konnte sie sich nicht vorstellen, jemals so leichtsinnig zu sein.
Hauptsächlich deshalb, weil sie sich nichts Schlimmeres vorstellen konnte, als so jung bereits für ein Baby sorgen zu müssen. Ihrer Ansicht nach wechselten die meisten jungen Leute ständig ihre Meinung und machten dauernd irgendwelche Fehler. In der Schule war sie oft mit gesenktem Kopf durch die Flure gelaufen und hatte verstohlen die neuesten Pärchen beobachtet, wie sie vor den Schränken Händchen hielten oder in den dunklen Ecken hinter der Turnhalle herumknutschten. Und obwohl Hazel teilweise ein klein wenig eifersüchtig war, fand sie, dass sie selbst eigentlich doch besser dran war. Denn sie sah auch, wie die gleichen Pärchen sich ein paar Monate oder manchmal auch nur Wochen später in der Cafeteria böse Blicke zuwarfen, nachdem es schiefgegangen war. Und es ging immer, immer schief.
Und dann, wenn jede Hälfte dieses früheren Pärchens beschloss, es mit jemand anderem erneut zu versuchen, sah Hazel sich auch das an. Wieder wurde Händchen gehalten und rumgeknutscht und so getan, als ob es diesmal halten würde.
Wer wollte schon in einer solchen Situation ein Baby bekommen? Was hatte sich Jaime nur gedacht?
Rosanna war solide. Rosanna hätte ihre Mutter sein müssen. Sie sahen sich ähnlich. Sie hatten ähnliche Interessen. Nicht zu vergessen die Tatsache, dass Rosanna verheiratet und zuverlässig und … na ja, auch alt genug war, um ihre Mutter zu sein.
Je mehr Hazel darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr klar, dass sie nicht nur auf Jaime sauer war. Sie war auch auf Rosanna sauer. Warum hatte denn Rosanna nicht schwanger werden können? Warum konnte Rosanna nicht ihre Mutter sein? Sie wusste, es war nicht fair, denn es war definitiv nicht Rosannas Schuld, aber Hazel konnte nicht anders. So empfand sie nun mal.
Sie öffnete die Augen und ging zur Reling. Die Umrisse der Insel kamen gerade in Sicht. Hazel holte tief Luft und ging unter Deck. Jaime schlief auf der Bank, ihre knochigen Knie hatte sie angezogen. Die Schnürsenkel eines ihrer Turnschuhe waren offen und hingen auf den Linoleumboden herab.
Ohne nachzudenken, griff Hazel nach ihrer Kamera. Sie hatte sie gestern in ihre Tasche gesteckt, nachdem sie von den Porträts in Rosannas Studio inspiriert worden war.
Hazel hob die Kamera ans Auge und richtete den Sucher auf Jaimes schlafendes Gesicht. Doch wie ein Magnet wurde ihr Blick von dem Turnschuh mit den geöffneten Schnürsenkeln angezogen. Es war etwas an
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