Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
drücke die Nase an die Scheibe, um durch eins der Fenster hineinzustehen.
Ein Empfang mit hölzernem Tresen, ein sauber gescheitelter junger Angestellter dahinter.
Nein, ein Theater gibt es hier bestimmt nicht. Alles ganz steril.
Dafür entdecke ich auf diesem Tresen ein Schild, das ich sogar von hier aus lesen kann. Da steht in geschwungenen Druckbuchstaben: »Juden sind in diesem Etablissement als Gäste unerwünscht.«
Gerade mal fünf Minuten von der Leopoldstadt entfernt.
20
»Wo in drei Teufels Namen warst du? Du hast deine Stunde versäumt! Lässt mich hier warten .., !«
Felice steht oben auf der Bühne, im hell erleuchteten Saal, barfuß, die Beine gespreizt.
Leonie kann ja verstehen, dass sie wütend ist. Aber nach dem, was sie gerade erlebt und gehört hat, ist sie nicht bereit, sich darauf einzulassen.
»Du musst mich entschuldigen«, sagt sie ruhig. »Ich war in der Leopoldstadt. Auf der Mazzesinsel. Es war für mich .., wichtig. Ich hab die Zeit vergessen.«
Felice starrt sie an. Dann hebt sie mit einer fast hilflosen Geste die Hände zu den Schläfen, schließt die Augen und setzt sich auf die Kante der Bühne. »Ja, und?« Ihre Stimme ist wie ein Flüstern.
»Ich habe mit einer alten Frau in einem Kiosk geredet, die dich kannte«, sagt Leonie.
Felice atmet tief aus. »Die Hanna. Was hat sie dir über mich erzählt?« Sie klingt, als hätte sie Angst, denkt Leonie.
»Dass du bei ihr Zeitungen gefaltet hast. Dass ich dich grüßen soll, aber vielleicht auch lieber nicht.«
Felice schweigt. Dann murmelt sie: »Ich will nicht, dass du dahin gehst. Dass du in meiner .., meiner Vergangenheit herumstöberst. Ich will es nicht.«
Mit einer hastigen fahrigen Bewegung, als wäre sie süchtig und würde ihr rettendes Gift hervorholen, greift sie in ihre Rock tasche und holt ihren Lippenstift vor. (Das erste Mal erlebt Leonie, dass Felice nicht imstande ist, sich ohne Spiegel perfekt den Mund zu malen. Sie verschmiert die Farbe an der Oberlippe.)
»Ich bin da nicht hingegangen, um irgendetwas über dich ... «, setzt Leonie an, aber die andere unterbricht sie schroff.
»Weswegen du da warst, das will ich gar nicht wissen. Geh da nie wieder hin, hörst du? Es zieht dich herunter. Ich verbiete es. Der Unterricht fällt für heute aus.«
Sie macht eine kurze Geste, als würde sie etwas ausstreichen, und verlässt mit großen, weit ausholenden Schritten den Raum. Leonie sieht ihr nach.
Ich verbiete es dir?
Das alles hätte auch ihr Vater so sagen können, vielleicht mit ein bisschen anderen Worten.
Wie tief muss das Dunkel gewesen sein, das sie in ihrer Jugend umhüllt hat, da auf der Mazzesinsel!
Es wird schwer sein, sie von ihrem Talisman zu trennen, dem sie, nach ihrer Meinung, ihr zweites Leben verdankt, ihr Dasein als die Felice Lascari, die sie jetzt ist ...
Im Palais knallen die Türen, dass der Putz aus der Füllung rieselt. Stühle fallen polternd um. Irgendetwas geht splitternd zu Scherben, begleitet von einer Art Kampfschrei aus geschulter Kehle.
Felice Lascari ist zornig.
Im Entree steht Frau Pfleiderer auf den weißrosa Marmorfliesen, die Hände über der Schürze gefaltet, den Kopf gereckt, und lauscht. Der Rest des weiblichen Personals hält sich vorsichtig in Deckung hinter der Küchentür. Joseph hat es vorgezogen, nach draußen zu gehen.
In dem Augenblick geht die Eingangstür, und Anton, Edler von Rofrano, betritt, leise vor sich hin pfeifend, den Vorraum, aber das Pfeifen vergeht ihm, als er die Haushälterin so stehen sieht und den Krawall aus den anderen Räumen hört.
»Jessasmaria!«, kommentiert er betreten und schmeißt seinen Hut in irgendeine Richtung (die Pfleiderer bückt sich und hebt das gute Stück auf). »Die gnädige Frau hat ihre ›Zuständ‹?«
»Gut, dass Sie kommen, Herr von Rofrano«, sagt die Frau aufatmend. »Wir san immer ein bissel hilflos, so als Bedienstete, wenn sich die Gnädige so ... aufregt.«
»Kann ich verstehen«, entgegnet Anton trocken. Er setzt sich auf einen der kleinen Stühle, beginnt, nervös mit dem Bein zu zappeln. »Hat sie nach einem von Ihnen geläutet?«
»Nein, Gott sei Dank nicht!« Die Pfleiderer ringt die Hände. »Das – das fürchten wir am meisten, dass einer zu ihr soll. Sie ist ja dann oft allzu sehr – hm – außer sich.«
Anton nickt sachkundig. »Wie lang geht’s schon so?«
Die Haushälterin hebt die Schultern. »Vielleicht – a Viertelstund lang ... «
»Na gut«, sagt er mit einem Seufzer. »Dann
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