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Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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hier, wo sie sein, wo sie unser Theater spielen! Dann gibt es einen Ruck in meinem Kopf und ich bin wieder in der Wirklichkeit. Kein Lebender und kein Dibbuk. Gar nichts.
    Ich muss mich irgendwo ausruhen. Die Füße tun mir weh. Und das Herz.
    Ausruhen oder mit jemandem sprechen, sagt sie sich. Zur Ruhe kommen.
    Sie ist müde und aufgeregt zugleich. Aber beim ersten Kaffeehaus, das sie betritt, wird ihr schon klar, dass sie dort nichts verloren hat. Das ist nicht nur Café, sondern auch eine Art Handelsbörse. Hier gibt es keine einzige Frau, nur Männer mit Hüten auf dem Kopf, die herumstehen, kommen und gehen und sehr laut miteinander über irgendetwas verhandeln. Sie haben eindeutig weder vor zu essen noch zu trinken. Wer keine Geschäfte macht, sitzt am Tisch, dicht gedrängt neben anderen, spielt Tarock oder Skat oder liest Zeitung, vor sich eine offenbar schon vor Stunden geleerte Tasse mit schwarzem Kaffee.
    Niemand beachtet sie, auch nicht der Wirt. (Kellner sind keine zu entdecken.) Hier ist sie eindeutig fehl am Platz. Verwirrt verlässt sie das Lokal. Ihre Schritte tragen sie zurück zur Schwedenbrücke.
    Aber auf dem Weg dorthin ist noch so eine Seitenstraße, Negerle gasse heißt sie.
    Sie zögert. Da singt jemand ein Lied, verschwimmende Klangfetzen. Verstummt wieder. Irgendetwas zieht sie hinein in diese Gasse, in ihre Dämmerung. In einem schmalbrüstigen Haus sieht sie eine hölzerne Tür mit hebräischen Buchstaben. Sie bleibt stehen, lauscht. Der Singsang von Betenden, wie sie ihn auch in Berlin, aus den Räumen der »Schul«, des Lehrhauses, gehört hat. Dann Stille. Und plötzlich eine dunkle Männerstimme, auf Deutsch: »Ich behaupte aber, er wird Anteil am ewigen Leben haben, da er unser Volk aus so schwerer Bedrängnis errettet hat. Er wird die Luft vom Garten Eden atmen jede Stunde, er wird stark sein und behutsam, gehorsam und fest, freundlich zu jedermann, der des Schutzes bedürftig, und die Gabe der Sprache wird ihm, der bisher stumm war, der Allmächtige dann verleihen.«
    Woher kommt diese Stimme? Aus dem Haus, vor dem sie steht? Aus der Luft? Von überall her? Sie dreht den Kopf. Es überfällt sie. Die Gebäude scheinen noch dichter zusammenzurücken, neigen sich zueinander, die Gasse wird enger. Irgendeine Dunkelheit schwimmt herbei. Was für eine Welt ist das? Wer spricht da? Sie hebt die Hände an die Ohren.
    Die Worte aus dem Buch »Der Born Judas«. Der Golem.
    Leonie fühlt einen ziehenden Schmerz am Hinterkopf, ausstrahlend in ihre Wirbelsäule. Die Narbe. Ihre Haut graupelt. Sie atmet schwer.
    Ja, ich tu es ja. Bedrängt mich nicht so. Ich bringe das Zeichen.
    Wie sie aus der Gasse hinausgekommen ist, sie weiß es nicht. Plötzlich ist sie wieder auf der Taborstraße. Alles sieht aus wie zuvor.
    Sie rennt fast auf die Brücke zu.
    Jetzt kommt die Sonne heraus, leckt die Nässe vom Pflaster. Es wird sehr schnell warm, sie muss ihren Mantel öffnen.
    An dem Kiosk mit der Aufschrift »Tabak-Trafik« bleibt sie stehen, versucht, sich zu sammeln, wieder in der Wirklichkeit anzukommen.
    Tabak-Trafik. Was verkauft man da? Tabak eben. Aber hinterden angelaufenen, mit Fliegendreck bedeckten Fenstern liegen, neben ein paar Zigarrenkisten, nur Zeitungen.
    Sie legt die Hand auf die Türklinke. Was erwartet sie wohl hier? Hoffentlich etwas ganz Einfaches. Etwas Banales. Nach dem da eben.
    Sie öffnet die Tür und schlüpft hinein. Die Glocke bimmelt. Bullige Hitze schlägt ihr entgegen. Offenbar hat man geheizt, weil es geregnet hat, egal wie warm es draußen ist. Und es riecht nach Kaffee! So verlockend, wie es einst in Selde Laskarows großer Küche zu jeder Tageszeit gerochen hat.

19
    Fast versteckt hinter Bergen von Zeitungen und Büchern, teils mit hebräischen Schriftzeichen, entdeckt sie schließlich eine Frau im hochgeschlossenen dunklen Kleid, das graue Haar gescheitelt und am Hinterkopf zu einem Dutt zusammengesteckt, die sie sicher schon seit ihrem Eintritt beobachtet. Wache dunkle Augen in einem runden Gesicht mit Doppelkinn, ein Blick, halb spöttisch, halb belustigt.
    »Grüß Gott!«, sagt Leonie befangen, und eine freundliche Stimme antwortet: »Schalom, Fräuleinchen! Nehmen ’s mir nicht übel, aber Sie sehn irgendwie verloren aus.«
    (Schalom, das heißt Frieden. Das weiß Leonie aus den Stücken, in denen sie in Berlin mitgespielt hat. Ein jüdischer Gruß.) »Ich komm mir auch verloren vor«, sagt sie zu ihrem eigenen Erstaunen. Als säße da nicht irgendeine

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