Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
»zugedeckt« wird, was kann man da seinem Publikum noch mitteilen?
    Und dann erlebe ich: Es geht. Diese Akteure haben elasti sche Gliedmaßen, sie sind akrobatisch und beweglich wie Zirkusartisten, sie beherrschen die Kunst, eine Pose aufzubauen und wirkungsvoll zu halten. Die brauchen ihr Gesicht nicht, um zu wirken!
    Atemlos vor Entzücken, wohne ich einem Wunder bei. So müssen sie früher auf den Jahrmärkten gespielt haben, die wandernden Komödianten – vielleicht sogar in Ländern, wo man ihre Sprache nicht verstand. Sie drückten alles durch ihren Körper aus. Ich habe das Gefühl, ich wohne der Wiedergeburt einer uralten Theaterform bei.
    Die Zuschauer um mich herum (soweit ich sie denn wahrnehme) scheinen zunächst, als es beginnt, genauso erstaunt wie ich, sogar befremdet. Aber dann macht der flickengewandete Truffaldino, der aus seiner Not zwei Herren dient, so etwas, was ich eine Pantomime nennen würde (später erfahre ich, dass solche Aktio nen »lazzi« heißen und von alters her feste Bestandteile dieser Art von Straßentheater sind): Er spielt, dass er eine Fliege fängt und sie aus Hunger schließlich – aufisst. Und er macht das so plastisch und so komisch, dass sogar der Herr mit dem steifen Kragen und seine Gattin mit dem Monokel in der Hand, die neben mir sitzen und sich zuerst vor Vornehmtuerei gar nicht zu halten wussten, sich vor Lachen nicht mehr einkriegen und vor Begeisterung wie wild in die Hände klatschen. Das Eis ist gebrochen, das Befremden vor dem Neuen dahin.
    Es ist ein turbulentes, wirbliges, anmutiges und freches Nichts, dies Stückchen Kunst, diese Verwechslungskomödie von vor hundertfünfzig Jahren, und es verzaubert mich mehr als das Spiel meiner Verwandten auf der Burgtheaterbühne im »Zerbrochenen Krug«. (Das andere hatte mir ja ohnehin nicht so recht gefallen.)
    Jetzt sehe ich wirklich einen Sinn in den mehr oder weniger akrobatischen Übungen, die Felice mir abverlangt – ja, wenn manein solches Theater spielen kann! Und ich beneide die da auf der Bühne glühend um das, was sie machen. Weil ich nämlich denke, ich könnte das auch ...
    Man könnte meinen, für so einen wundersamen Abend wäre das genug. Aber nein, es geht noch weiter!
    Nach der Vorstellung gönne ich mir, was ich auch früher in Berlin immer gemacht habe: Ich gehe zum Bühnenausgang und warte auf die Schauspieler, um sie noch einmal zu beklatschen, wenn sie abgeschminkt und wunderbar erschöpft das Haus verlassen. Stehe da mit zehn, zwölf Gleichgesinnten, Männern und Frauen, und wir recken die Hälse und treten von einem Bein aufs andere.
    Und dann geschieht es.
    Noch bevor die Darsteller erscheinen, kommt ein junger Mann im hellen Mantel mit Halbglatze und Brille aus der Tür, unterm Arm einen Aktendeckel. Als er die Tür mit Schwung hinter sich schließt, bleibt der Schoß seines Mantels zwischen Tür und Rahmen hängen. Er zerrt daran und der Aktendeckel fällt zu Boden. Ein Regen loser Blätter ergießt sich auf das Pflaster vor dem Bühnenausgang, und der junge Mann flucht unterdrückt, bückt sich und beginnt mit dem Einsammeln.
    Beflissen sind zwei oder drei Wartende zu Hilfe geeilt, darunter auch ich. Ich werfe einen schnellen Blick auf die Blätter: Sie sind mit schwungvoll hingeworfenen Skizzen bedeckt – eindeutig Vorarbeiten zu einem Bühnenbild.
    »Danke, danke!«, sagt der junge Mann. »Mein Gott, wie kann man nur so ein Tollpatsch sein wie ich!« Er redet kein Wienerisch. »Alles durcheinander und ohne Seitenzahlen!«
    Die Leute lachen, und wir alle hocken auf dem Boden und sammeln ein, was wir finden.
    Ich habe einen ziemlichen Stapel Bögen erwischt und reiche sie dem »Tollpatsch« hin und er nimmt sie mir aus der Hand und stopft sie wieder in den Aktendeckel. Dann sieht er auf und lächelt mich an und plötzlich wird sein Gesicht ernst.
    »Fräulein Lamedé?«, sagt er fragend.
    Völlig überrascht nicke ich. Lamedé, mein Künstlername, unter dem ich mit Schlomo Laskarow am Jüdischen Theater aufgetreten bin ...
    »Herr des Himmels, was machen Sie denn in Wien?« »Woher kennen Sie mich?«, frage ich verwirrt.
    »Ich habe Sie mehr als einmal in Berlin auf der Bühne gesehen!«, ruft er aus. »Bevor es diese Katastrophe mit dem Hauptdarsteller gab ... Sind Sie auf Engagementsuche? Bei einer jüdischen Bühne drüben in der Leopoldstadt?«
    »Nein, ich ... bis jetzt noch nicht ... ich nehme hier Unterricht und ... « Ich breche ab. Was für ein Zufall! Einer aus unserem alten

Weitere Kostenlose Bücher