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Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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ist in vollem Gang, als sie sich ganz hin ten an die Menschenmenge stellen. Vordrängen klappt nicht, man wird gleich hart angeranzt; was die Leute sagen, versteht Leonie ohnehin nicht und Goldstein wohl auch nicht, der Tonfall ist deutlich. Also bleiben sie dort stehen und folgen den großen, abgehackten Bewegungen der herkömmlichen und allbekannten Gestalten. Der Wurstel, der Kasper also, ist die Hauptfigur. Dann gibt’s seine Braut, die Annamierl heißt, den Polizisten, die Großmutter, das Krokodil, das vom Wurstel ständig verprügelt wird, sobald es das Maul aufreißt.
    Das Publikum jauchzt vor Vergnügen und reagiert so, wie Leonie es vom Laskarow-Theater in Berlin kennt. Man muntert die Figuren auf, erklärt ihnen, was sie tun oder nicht tun sollen, warnt das Annamierl, wenn das Krokodil hinter ihr erscheint ...
    Die grob gestrickte Geschichte beginnt Leonie zu langweilen. So hat sie nichts dagegen, als Danny Goldstein sie drängt zu gehen.
    »Ich bring dich nach Haus!«, sagt er. Seine Stimme klingt auf einmal irgendwie besorgt. »Das hier ist nichts für uns.«
    Sie hat sich schon zum Gehen gewendet, als sie aus der Zuschauermenge plötzlich einen anderen Ton hört – so etwas wie ein Johlen, ein hasserfülltes Gebrüll, dazwischen, laut und schrill,den Ruf »Hepp, hepp!«, der uralte Hetzruf einer aufgeputschten Menge – gegen die Juden.
    »Komm!«, drängt Goldstein. Aber nun nicht. Nun dreht sie sich um, blickt wieder nach vorn.
    Auf der Kasperbühne ist eine neue Figur aufgetaucht, krummnasiger noch als Wurstel, mit wulstigen Lippen und Schläfenlocken, einen komischen Hut auf dem Kopf und gekleidet in einen schwarzen Kaftan. Der Jude schlechthin.
    »Was ist denn das?«, entfährt es ihr.
    »Das ist halt auch so eine Figur auf der Wurstelbühne«, sagt Goldstein leise. »Der Moische. Darum wollte ich, dass wir jetzt gehen.«
    Leonie schüttelt stumm den Kopf. »Nein, das sehe ich mir an!«, sagt sie. Sie klingt ruhig. Mal sehen, was da so wird. Kürzlich im Kabarett das Original, jetzt die gespielte Variante. Ihr kann ja nichts geschehen, das ist nur ein läppisches Puppenspiel, redet sie sich selbst zu. Aber dann ...
    »Juda, verrecke!«, quietscht eine Frauenstimme aus dem Publikum unter zustimmendem Gelächter.
    »Juda, verrecke.« Das stand im Scheunenviertel an den Wänden, nach dem Pogrom! Und auf einmal ist alles da. Schlimmer, dichter, drängender noch als in der Rolandbühne.
    Schlomos Stimme, damals in Berlin, als das Scheunenviertel kurz und klein geschlagen wurde. »Lauf, lauf, was du laufen kannst!«
    Schlomo und ich unterwegs, als der Mob verschwunden ist.
    Glasscherben knirschen unter unseren Tritten, schwärzliche Schlieren am Boden (Blut?), eingeschlagene Türen, zerrissene Bücher, Haarbüschel, vom Wind gebeutelt, besudelte Kleider, ein zerbrochenes hölzernes Schaukelpferd im Rinnstein. Schlomo, halt meine Hand!
    Die Theatervorstellung, als sie die Bühne stürmten. »Hepp, hepp!« Unter Brüllen, Grölen, Pfiffen und Buhrufen fliegt auf die Bühne, was man alles Schönes mitgebracht hat: Eier, faule Äpfel und Birnen, zermantschte Kartoffeln und Tüten aus durchweichtem Papier, die mit widerlichem Geräusch auf dem Bühnenboden platzen und irgendeinen stinkenden Inhalt frei geben.
    Schlomo in seinem mit Dreck besudelten Feldherrnmantel vorn am Bühnenportal, den Arm anklagend ausgestreckt in den Zuschauerraum, der Stein fliegt, verletzt ihn an der Schläfe ...
    Nein! Nicht immer wieder die gleichen Bilder!
    Sie klammert sich an Danny Goldsteins Arm, krümmt sich. »Nicht! Bitte, nicht!«
    »Leonie, Herr des Himmels, was machst du denn?« Goldstein zieht sie an sich, zwingt sie, aufzuschauen in sein sorgenvolles bebrilltes Gesicht. »Es ist doch nur ein dummes Kasperspiel!«
    Sie fasst sich. »Ja, ich weiß«, sagt sie, streicht sich mit der Hand über die Augen. Zwingt sich, ruhig zu atmen. Es ist wieder fort, sie hat es besiegt. Diesmal.
    »Komm jetzt!«
    »Oh nein!« Ihr gelingt ein kleines Lächeln. »Ich schau schon bis zum Ende zu.«
    Inzwischen hat unterm Grölen der Zuschauer Moische, der Jud, von der armen Großmutter Wucherzinsen gefordert, wie man das von den Juden ja kennt, und das wütende Brüllen der Leute hat endlich den Wurstel auf den Plan gerufen. Er wird von denen da unten im Sprechchor aufgefordert: »Schlag den Jud! Schlag den Jud!«
    Natürlich lässt sich das der Wurstel nicht zweimal sagen. Er holt sogleich seinen großen Hammer, und unterm rhythmischen

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