Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2

Titel: Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
Vom Netzwerk:
energisch daran, das Gleiche auch selbst zu nehmen, und dann bemerke ich nur noch verschwommen, dass ich irgendwann zu Bett gebracht werde. Da draußen herrscht inzwischen Stille; die Freudenfeuer, die das neue Jahr begrüßt haben, sind verloschen und meine Tränen zunächst einmal getrocknet, und kurz vorm Einschlafen ist es mir so, als wäre ich gar nicht allein in diesem Bett, sondern jemand läge neben mir, warm und fest zugleich.
    Aber als ich aufwache – es ist schon hell –, da ist es meine Hand, die neben mir ruht wie ein fremdes Ding. Ich habe das Gefühl, sie ist viel größer als sonst. Es pocht und sticht unter dem Verband. Es waren doch bloß ein paar Glassplitter ... Irgendetwas stimmt nicht. –
    Gaston fährt mich zunächst nach Cerbère zum Arzt, einem älteren Herrn mit steif pomadisiertem Schnurrbart. Der macht den Verband ab und wickelt eine neue Mullbinde darum. Weiter tut er nichts, aber seine Miene wirkt bedenklich, auch wenn er nichts sagt. Er und Gaston tauschen sich in schnellem Französisch aus. (Ich verstehe die Sprache sonst gut, aber mein Gehirn ist wie eingenebelt.) Irgendwie ist von einem Kollegen in Perpignan, der nächsten größeren Stadt, die Rede. Spezielle Methoden, verstehe ich noch.
    Ich habe wohl Fieber, denn ich bekomme nur so halbwegs mit, was mit mir geschieht. Schon während der Fahrt von Hermeneaunach Cerbère dämmere ich vor mich hin, und die Reise nach Perpignan, die Straße mit den sicher sehr reizvollen Ausblicken aufs Meer und die hübschen Buchten und bunten Fischerdörfer, geht an mir vorüber wie das Schattenspiel in einer Camera obscura; alles ist, als habe man mit einem feuchten Lappen über ein Bild gewischt und die Farben sind verlaufen. Das Einzige, was ich empfinde, ist Übelkeit bei den scharfen Kurven, die Gaston heute so rasant anfährt.
    Dieser Arzt in Perpignan, das erfahre ich später, hat den Ruf, mit ungewöhnlichen Methoden ungewöhnliche Heilungen zu erzielen. Benommen lasse ich geschehen, was dieser bullige Rotschopf mit mir anstellt, denn auch Gaston wendet nichts ein gegen die Behandlung.
    Zunächst einmal wühlt Monsieur le docteur, Lupe vorm Auge, mit einem hakenförmigen spitzen Instrument in der Wunde herum, dass mir Hören und Sehen vergeht, fördert triumphierend noch einen winzigen Glassplitter zutage und übergießt dann alles mit einer braunvioletten Flüssigkeit (es wird wohl Jod sein). Es brennt so, dass ich schreien muss. Und zum Schluss – ich kann es kaum glauben! – legt er verschimmeltes Brot auf die offenen Stellen! Dann bekomme ich noch eine Chinintinktur gegen Fieber und Schmerzen zu trinken und Gaston erhält eine Flasche davon für zu Hause.
    »Immer wieder verschimmeltes Brot auflegen!«, knurrt der merkwürdige Doktor beim Abschied. »Damit es keine Blutvergiftung gibt.« Ich finde das zum Lachen, warum, weiß ich auch nicht. Ich bin ziemlich durcheinander.
    Dann fahren wir zurück. Ich bin so erschöpft, dass ich im Wagen einschlafe. –
    Auf Schloss Hermeneau verschimmeltes Brot aufzutreiben ist gar nicht so einfach. Gaston erzählt mir, dass Clémence entrüstet erklärt hat, in einem ordentlich geführten Haushalt gäbe es so etwas nicht, und in ganz Cerbère wüsste sie nicht eine Hausfrau, die zugeben würde, dass bei ihr die gute Gottesgabe verschimmele!
    Aber irgendwie wird es dann doch herbeigeschafft und Isabelleerneuert zweimal täglich den Verband. Ihre kühlen ruhigen Finger sind zupackend und vorsichtig zugleich, sie tut mir nicht weh, obwohl mich das auch nicht stören würde. Schmerz hilft mir.
    Mit der Hand geht es schnell voran. Mit mir nicht.
    In den nächsten Tagen sitze ich am Fenster meines Zimmers und starre auf die ferne Bergkette und auf das, was die Wolken so am Himmel anstellen. Da kann ich stundenlang hingucken. In Berlin hat man zu den Wolken eigentlich kein besonderes Verhältnis, man registriert sie nur, wenn sie Regen bringen oder Sturm und ärgert sich dann darüber, und wo hatte ich in der letzten Zeit schon Gelegenheit, einen bunt gefärbten Sonnenuntergang zu sehen – ich spielte ja abends Theater.
    Nun habe ich Wolkentheater. Ist aber kein Ersatz.
    Von Zeit zu Zeit bewege ich kräftig meine Finger und lasse den Schmerz durch mich hindurchzucken wie einen Feuerstrahl. Dann bin ich ganz lebendig. Dann kann ich etwas fühlen, etwas, womit ich das andere übertönen kann. Die Leere. Die Ödnis.
    Mit angehaltenem Atem warte ich ab, wie die Wellen des Schmerzes langsam verebben, spüre

Weitere Kostenlose Bücher