Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
von der Anstrengung aus und versuche, so flach zu atmen, dass mein Brustkorb sich nicht bemerkbar macht.
Ich bin abscheulich müde. Müde bis in die Fingerspitzen. Warum ist man so müde, wenn man von einem Felsen gefallen ist? Ist es so anstrengend, durch die Luft zu fliegen? Auch darüber weiter nachzudenken, ist mir mit zu viel Aufwand verbunden.
Dann höre ich, dass noch jemand außer mir atmet. Ich bin nicht allein im Zimmer.
Aus dem Augenwinkel entdecke ich dicht neben mir, auf der linken Seite, ein zweites Bett, eine halbe Armlänge von meinem entfernt. Auch weiß. Alles weiß.
Mit ungeheurer Selbstüberwindung schaffe ich es, meinen schwir renden, pochenden, schwindelnden Kopf zu drehen. Inmitten einer Welle schwarzen, silbergrau durchzogenen Haars das blasse Oval eines Gesichts. Neben mir liegt mit geschlossenen Augen meine Ahnfrau Isabelle Laskère.
Vielleicht sollte ich erst einmal weiterschlafen, bevor ich mir über dies Rätsel den Kopf zerbreche. –
Ehe ich das nächste Mal die Augen aufschlage, höre ich, dass jemand sagt: »Mehr kommt überhaupt nicht infrage. Das ist das Äußerste, Madame. Noch dazu in Ihrem Alter. Bitte, Monsieur, helfen Sie mir. Reden Sie es ihr aus.«
Und dann jemand anderes: »Es müsste auch reichen. Es war vorhin fast ein Liter.«
»Wenn es reicht, werde ich das akzeptieren. In keinem anderen Fall. Keine Sorge, ich komme schon wieder auf die Beine«, sagt eine bekannte Stimme. Isabelle.
»Was ist ihr denn zugestoßen?«, frage ich und versuche, um mich zu schauen, aber der Kopf tut immer noch genauso weh, und überhaupt ist es wie vorhin: Es dauert eine Weile, bis meine Augen etwas festhalten können. Ich stelle mir vor, dass es vielleicht jungen Katzen so geht, wenn sie anfangen zu sehen.
»Na, Gott sei Dank, sie ist wach!«
Vor mir ein freundliches rundes Gesicht (ich muss ein paar Mal blinzeln, bis es aufhört, vor mir hin und her zu schaukeln wie in einem Zerrspiegel auf dem Jahrmarkt), Ponyfransen, darüber eine Schwesternhaube. Daneben ein zweites Gesicht, Brille, weißer Haarschopf, kritisch gerunzelte Stirn. Wird wohl der dazugehörige Doktor sein. Etwas taucht in meinem Gedächtnis auf. Irgendeine Medizinerposse, die ich seinerzeit ein paar Mal in Berlin gesehen habe. Denn was er sagt, hört sich ganz so an. Nämlich: »Kindchen, was machen Sie denn für Sachen!«
Ich verziehe die Lippen.
»Jetzt lächelt sie!«, konstatiert die Schwesternhaube. Ich schließe die Augen wieder und jemand greift nach meiner nicht bandagierten Hand und fühlt mir den Puls.
Dann Isabelle: »Wenn sie lächelt, dann haben wir ja wohl unser Ziel erreicht, Herr Doktor.«
Natürlich reden sie alle französisch, und obgleich ich es gut verstehe und leidlich spreche, habe ich in meinem verwirrten Zustand meine Frage vorhin auf Deutsch gestellt und wiederhole nun ebenfalls auf Französisch: »Bitte, ich möchte wissen, warum Madame Laskère hier neben mir liegt!«
Und wieder Isabelle, ihre tiefe, leicht heisere Stimme, spöttisch und warm: »Ich war in der glücklichen Lage, dir das Leben retten zu können, chérie.«
Ich trete erneut weg. Als ich wieder zu mir komme, sind die beiden Krankenhausgesichter verschwunden und dafür ist da Gaston, der mich freundlich und besorgt anguckt, und seine Augen sind feucht.
»Ich bleibe jetzt bei Isabelle, bis sie Schlaf findet«, sagt er, »und dann komme ich zu dir und erzähle dir alles, falls du nicht zu müde bist.«
»Ich denke, ich habe jetzt lange genug geschlafen«, antworte ich.
Weißgekleidete Gestalten rollen gerade Isabelle in ihrem Bett aus dem Zimmer. Sie hat einen verbundenen Arm. –
Nun sitzt Gaston hier bei mir und meine freie Hand ist in der Seinen.
»Isabelle ist gleich eingeschlafen, erschöpft wie sie war«, sagt er mit einem kleinen Seufzer. »Nun wird alles gut.«
»Aber was hat sie denn?«, frage ich ungeduldig. »Und wieso ... « »Sie hat dir ihr Blut gespendet, Leonie«, sagt er ernst. »Wer weiß, ob man dich sonst hätte retten können.«
»Isabelles Blut? Ja, aber ... « Irgendwie bin ich irritiert.
Gaston streichelt mit dem Daumen meinen Handrücken, beruhigend: »Das war eine Notwendigkeit. Isabelle war die erste und die beste Wahl. Sie ist Universalspenderin, weil sie die Blutgruppe Null hat. Es ist nicht zum ersten Mal, dass sie das macht. Während des Krieges wurden Verwundete auch in ein Lazarett hier nach Perpignan gebracht. Inzwischen gibt es ja eine Möglichkeit, Blut zu konservieren, aber vor
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