Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Korridore der Klinik. Sie will schnell gesund werden. –
Das ist, zumindest teilweise, ein altmodisches Haus. Die Krankenzimmer so nichtssagend steril wie überall auf der Welt, und geschäftiges Personal in weißem Kittel läuft herum und grüßt mich abwesend, viel zu sehr mit irgendeinem »Fall« beschäftigt, um mich nach meinem Woher und Wohin zu fragen. Schwesternhauben huschen vorüber, Herren mit dem Stethoskop um den Hals verschwinden hinter Türen mit der Aufschrift »Kein Zutritt«.
Aber auf die Flure des Hauses hat die Sterilität noch nicht übergegriffen. Die sind mit dunklem Holz getäfelt, und in einem von ihnen gibt es Nischen, darin die Porträts der Ärzte, die hier gewirkt haben von Anbeginn. Seit 1860, man staune! Teils Gemälde, später auch Fotos von Herren mit Rauschebärten und in Anzügen; mächtiger Stehkragen, Weste mit Uhrkette. Als Zeichen ärztlicher Würde höchstens mal so ein Stethoskop um den Hals gehängt. (Weiße Kittel waren offenbar damals noch nicht Mode, die gibt es erst bei den Ärzten in unserem Jahrhundert.) Unter den Bildern stehen jeweils Namen und Titel der Herren Doktoren und wie lange sie am Haus gewirkt haben.
In den Nischen gibt es kleine Sitzbänke, ob sie für Leute wiemich gedacht sind oder als Warteraum für neue Patienten, weiß ich nicht. Jedenfalls nutze ich sie gern, um mich und meine schmerzenden Knochen auszuruhen und das »Gegenüber«, also die Porträts, zu betrachten.
Einer der ersten Fotografierten ist ein Doktor Jean-Claude Zullot. Dass er mich so intensiv anstarrt, ist wohl der Tatsache zu verdanken, dass man damals, soviel ich weiß, mindestens drei Minuten in die Kamera gucken musste, möglichst ohne zu blinzeln, wenn das Bild etwas werden sollte. Mir gefällt sein breites, bärtiges Gesicht mit den weit auseinanderstehenden Augen und sein streng gescheiteltes Haar. Monsieur le docteur hat allerdings nicht sehr lange am Haus gearbeitet. Von 1892 bis 1897.
Bei der zweiten Jahreszahl rührt sich etwas in mir. Aber ich bin wohl noch zu schwach und zu durcheinander, um meinen schmerzenden Kopf allzu sehr anzustrengen.
In den nächsten Tagen, immer nach der Visite, nehme ich meine Wanderungen durch das Haus wieder auf, ziellos eigentlich. Es ist mir ja mehr ums Gehen an sich zu tun als um irgendwelche Erkundungen. Ich muss meinen Körper dazu zwingen, wieder zu funktionieren. Schließlich muss ich hier raus, es wartet etwas auf mich.
Natürlich komme ich auch in den Korridor mit den Bildernischen. Und auf einmal, bei einem meiner »Besuche« bei dem bärtigen Herren, klingelt es. (Auf mein Gedächtnis ist Verlass.)
Der Friedhof. Testard, Zullot, Lambertin. Die Toten in der Ecke. Und die gleiche Jahreszahl. 1897.
Auch ein Opfer der Seuche, der Herr Doktor? Meine Neugier ist geweckt.
Ich frage eine ältere Schwester, von der ich annehme, sie müsste es vielleicht noch wissen. Aber die zuckt nur mit den Achseln. Keine Ahnung.
Meine nette »persönliche« Schwester mit den Ponyfransen guckt auf meine Bitte hin im Archiv nach.
Nein, Monsieur Zullot ist nicht etwa gestorben, sondern an ein anderes Krankenhaus gegangen. Ja, er stamme wohl aus Cerbère,Sohn eines Weinbauern. Von einer »Seuche« im Jahr 1897 weiß sie nichts.
Das seltsame Zusammentreffen der Jahreszahlen beschäftigt mich. Irgendjemanden werde ich danach fragen, bevor ich mich aufmache.
Denn nun will ich eigentlich nur eins: hier entlassen werden und dann nach Wien.
Nach Wien, um den zweiten Buchstaben, das Mem, zu suchen und nach Hermeneau zu bringen. Das zu tun, weshalb ich angetreten bin. (Und im Jahr darauf nach Spanien, der dritten Etappe!) Und ... ach ja, da war ja noch etwas. Schauspielunterricht zu haben. Bei einer der besten der Zunft.
Aber vorher muss ich mit Isabelle reden, warum sie nicht gekommen ist. Ich habe so eine Ahnung.
17
Ich stehe vor dem großen Spiegel in meinem Zimmer auf Hermeneau und gefalle mir gar nicht.
Mein Gesicht ist von einem ungesunden Graubraun, meine Lippen sehen rissig aus. Über den hohen Wangenknochen liegen dunkle Schatten und meine Augen sind riesig in dem schmalen Gesicht. Nun, das wird sich alles ändern. Irgendwann bin ich wieder ansehnlich, hoffe ich doch.
Mein linker Arm ist dünner als der rechte, will mir scheinen. Ich habe ihn so lange nicht richtig bewegt. Und ein Glück, dass ich meinen Hinterkopf nicht sehen kann. Wie das wohl ausschaut! Ich befingere mich vorsichtig. Um mein halb verheiltes Loch im Kopf (manchmal pocht es
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