Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
dieser erregenden, weichen und metallischen Stimme, die ihr die alten Liebesworte sagt, sie von Kopf bis Fuß in Brand steckt und sie dann sich selbst überlässt.
Wenn sie zu Bett geht, hofft sie, dass sie wenigstens träumt von dem, was zwischen ihnen damals in Berlin geschehen ist. Von ihren sanften und schalkhaften Spielen: »Mach die Augen zu. Ich beschreibe dich.«
Und zwischen Schlaf und Wachen versucht sie krampfhaft, ihn mit Worten herbeizuholen, ihn zu bannen in das Netz der alten Zärtlichkeiten . »... deine Lippen sind geschlossen, wenn du schläfst. Dein Hals ... deine Brust. Diese kleine Locke da ... dein Gesicht lebt durch deine Augen ... « A ber sosehr sie auch fleht und bittet: Die einzige Gegenwart ist die ihrer eigenen Hände an ihrem Körper.
Sie schläft ein, tränennass, und erwacht, ohne dass er im Traum zu ihr gekommen ist. Wieder und wieder nichts als der Hauch, der über sie hinstreicht. Aber der Hauch – der ist er doch!
Ein Dibbuk hat keinen Körper. Er wohnt nur zwischen Wind und Feuer und wartet, dass du ihn ansprichst. –
Am Abend zuvor war es milder. Ein warmer Hauch aus Afrika hatte sich überm Meer vollgesogen mit Wasser und tauchte das Land nun in einen weichen frühlingshaften Regen, anders als die peitschenden Güsse davor. Aber dann irgendwann in der Nacht hat sich von den Pyrenäen erneut ein feindlicher Wind hinabgestürzt. Als Leonie früh aus dem Fenster schaut, sieht sie: Die Dächer glänzen wie glasiert, von einer feinen Eisschicht überzogen, auf den Gräsern am Rand des Hofs hängt gefrorener Regen, und als sie hinaustritt, entdeckt sie, dass die Wege an manchen Stellen eine Haut aus knirschenden Schneekristallen tragen.
Schließlich kommt die Sonne heraus und verwandelt die Welt für kurze Zeit in einen Diamantenladen – und danach ist die ganze Herrlichkeit verschwunden, weggeschmolzen.
Was für ein launisches Hexenwetter! Ein Wetter, das einem jede Sicherheit nimmt, das einen unruhig macht und nervös.
Und genau das kann sie heute etwas überhaupt nicht gebrauchen. Sie hat sich vorgenommen, heute etwas Neues zu probieren: den Abschied Julias nach der Liebesnacht mit Romeo. Die sogenannte zweite Balkonszene. Und sie hat Angst vor dieser Szene. Der ahnungsvolle Abschied der Liebenden ist zu nah an dem, was sie selbst erlebt hat – auch wenn es so ganz anders ist.
Eine Julia, die ihren Romeo nicht gehen lassen will, weil der Tag für sie beide Entdeckung und Entlarvung bedeutet. Eine Leonie, deren Liebster schnell davoneilt, um etwas in Sicherheit zu bringen vor drohenden Gefahren, Isabelles goldenen Buchstaben, und der dabei umkommt. Hastige Abschiede. Poetisch, prosaisch. Das bange Gefühl künftiger Gefahren ...
Und das alles mit nichts als der leeren Luft als Partner.
Leonie hatte sich gewünscht, dass die Natur still ist, sich zurücknimmt, gleichsam den Atem anhält, damit sie diese heikle Szene in Ruhe formen kann. Nun wollen offenbar die Elemente mitspielen, irgendwie.
Sie ist zwar wieder dick vermummt in ihren Pullover, aber zu Isabelles Stiefeln aus dickem Leder konnte sie sich nicht entschließen. Wie soll sie da oben eine bewegliche, eine federleichte Julia geben, mit Schuhen, die ihr wie Bleigewichte an den Füßen hängen! Wider alle Vernunft ist sie in ihre alten Spangenschuhe geschlüpft und merkt schon beim Aufstieg, wie rutschig es noch ist, je höher sie steigt. Aber es wird ja von Viertelstunde zu Viertelstunde wärmer, dann vergeht das. So hofft sie. Jedoch das Gegenteil ist der Fall. Wieder ziehen Wolken auf, dunkel jetzt, fast schwarz, rasen über den Himmel wie gejagt, dann wieder Sonnenblitze, die sie blenden. Dramatisches Wetter. Peinigend.
Als sie ihre »Bühne« erreicht, ist ihr warm vom Aufstieg und ihr Herz klopft schneller.
Sie steht einen Moment in der Mitte, die Augen geschlossen, atmet tief und ruhig durch die Nase. Sonne und Wind sind auf ihrem Gesicht. Ihr ist schwer und leicht zugleich zumute. Ein bisschen wie vor einer Premiere. Sie konzentriert sich.
Verona. Der Balkon, dahinter ein helles Zimmer, ein helles Bett, die zerwühlten Laken. Der Abschied.
Aber da schiebt sich Berlin dazwischen. In ihrem Kopf ist ein anderes Bild. Die zerwühlten Laken ihres gemeinsamen Bettes in der Laskarow’schen Wohnung am Spittelmarkt. Seine Schulter. Sie klammert sich an ihn, verbirgt das Gesicht an dieser Schulter. »Ich sterbe vor Angst.«
Seine schlafwarmen Arme, seine Brust. Sein Geruch.
Und nun ist es kein sanftes,
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