Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
niedrig.
»So, das muss jetzt köcheln«, sagt sie befriedigt.
Sie geht zum Spülstein und wäscht sich die Hände, benutzt dazu die Reste der Zitrone, deren Saft ich verwendet habe.
Ich setze mich an den Tisch, von dem sie jetzt mit einem großen, in Essig getränkten Schwamm die Spuren der Kalmare wegwischt. »Worüber willst du mit mir reden?«, fragt sie geradezu.
»Über diese Blutspende etwa? Ist dir dazu irgendwas Mystisches eingefallen? Menschenblut ist Menschenblut, auf diesen Leukozythen und Erythrozythen wird kein geheimnisvolles Merkmal irgendeiner Rasse transportiert. Es gibt kein jüdisches Blut, Leonie.«
»Das weiß ich doch!«, sage ich, und es klingt heftiger, als ich es vorhatte. »Das ist mir klar. Ich hätte dir bloß gern gedankt für das, was du für mich getan hast – aber du bist nicht gekommen.«
Sie antwortet nicht, wirft den Schwamm in den Spülstein, trocknet sich die Hände ab und rückt den Stuhl, um sich neben mich zu setzen. Immerhin. Sie setzt sich zu mir.
» Warum bist du nicht gekommen?«
Ihre dunklen Augen versenken sich in die meinen. »Was sich da oben abgespielt hat – hatte das was mit Weglaufen zu tun?«
»Ich wusste es!«, sage ich und fühle, dass mir heiß wird. Ich drücke eine Hand gegen meine Narbe am Hinterkopf, wo es mal wieder pocht. »Du hast gemeint, ich wollte mich drücken! Was denkst du von mir? Mir ist eine Aufgabe übertragen worden! Das habe ich doch Gaston schon erklärt. Aber offenbar reicht das nicht!«
»Ich will es von dir hören. Also, was war?«
»Ich – wir haben gespielt, da oben auf dem Plateau. Es hatte Frost gegeben, der Boden war glatt. Ich bin ausgerutscht. Das war alles.«
»Du und dein Dibbuk?«
»Ich und mein Dibbuk. Ich will leben, Isabelle, glaub mir, mit oder ohne ihn.«
Sie legt mir die Hand auf den Arm, ihre Finger sind kühl vom Hantieren mit Wasser und Schwamm. »Gut zu wissen«, sagt sie knapp.
Ich befreie mich von ihrer Hand, stehe auf. »Ich möchte mit dir das Sabbatmahl kochen und den Freitagabend feiern, den schönsten Abend der Woche, den Abend vor dem Sabbat tag, wenn wir festlich beisammensitzen. Und dann will ich nach Wien.«
»Das ist ein Wort!« Sie lächelt. Der Duft der Kalmare in ihrem Thymian- und Zimtkleid durchzieht den Raum. Alles ist geklärt.
Und dann schießt mir etwas durch den Kopf, was eigentlich gar nicht hierhergehört. »Sag mal«, frage ich, »was war eigentlich 1897?«
»1897?« Sie sieht mich verwundert an. »Das war das Jahr, als Gaston Hermeneau für uns gekauft hat. Wie kommst du auf diese Jahreszahl?«
Ich lasse die Frage offen. »Gab es da eine Seuche oder so etwas in Cerbère?«
Isabelle schüttelt den Kopf. »Ich habe keine Ahnung. Ich kam hierher und war ... « Sie schluckt. »Ich war ziemlich krank. Ich erinnere mich nicht.«
(Mir fällt ein, dass Gaston einmal davon gesprochen hatte, dass Isabelle für kurze Zeit wegen ihrer »Anfälle« sogar in einer psychiatrischen Anstalt gewesen war ... Nein, sie konnte nichts von dem wissen, was hier vorgegangen war. Also werde ich wohl doch noch einmal im Ort nachfragen. Es ist merkwürdig, aber die Sache lässt mir keine Ruhe.)
Ich verlasse die Küche und gehe auf mein Zimmer. Es ist gut, dass ich Isabelle gesprochen habe. Und als ich mich wieder in dem Spiegel betrachte, finde ich, dass ich schon bedeutend besser aussehe.
18
Während der Zeit, die ich in Perpignan im Krankenhausbett verbringen musste, hat der Frühling hier ganze Arbeit geleistet. So grün sehe ich diese Landschaft zum ersten Mal (denn im vorigen Sommer, als ich hier war, hatte die Sonne bereits alles vergilben und verdorren lassen und die Wege waren voller Staub). Es ist ein triumphierendes, ein durchdringend helles Grün und umhüllt selbst Fels und Gestein, dazwischen wachsen Blumen, so bunt wie die Sommerkleider der Mädchen – »Millefleurs«, tausend Blu - men, hießen im vorigen Jahr die Muster in den Schaufenstern von Berlin, und mille fleurs blühen hier. Wenn mir die Sonne morgens ins Gesicht scheint, sobald ich die Vorhänge meines Zimmers aufgezogen habe, dann bin ich fast fröhlich.
Beinah jeden Tag gehe ich mit einem geflochtenen Korb los, um für die Küche von Hermeneau wilde Kräuter zu sammeln. Isabelle hat mich gelehrt, was man alles essen kann, indem sie mit mir, die Zigarette in der Hand, am Straßenrand vorm Schloss hin und her promeniert ist. Junge Brennnesseln und Löwenzahnblätter, die Knospen von Gänseblümchen, frischer
Weitere Kostenlose Bücher