Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
aus irgendeinem Provinznest. Es wird schon werden.
»Deine neue Verwandte wohnt hier«, fährt Gaston fort und deutet auf einen Punkt der Karte. »In Hietzing, im 13. Bezirk. Ich habe mir sagen lassen, dass es eine ziemlich noble Gegend sein soll. Madame Lascari ist ja auch eine wichtige Persönlichkeit. Schauspielerin am Burgtheater, das macht in Wien etwas her.«
Leonie hat es sich in einem der Ledersessel bequem gemacht, sie schlägt die Beine übereinander und verschränkt die Arme im Nacken, gibt sich besonders lässig, um ihre Aufregung zu überspielen. Um diese Karte und die Reiseführer wird sie sich später kümmern, das will sie jetzt nicht wissen, so gut es Gaston meinen mag. Wer ist die Frau, zu der sie fährt? Das muss sie wissen.
»Kannst du mir etwas über diese Felice Lascari erzählen?«, fragt sie. »Was ist sie für ein Mensch? Wie alt ist sie eigentlich?«
Der alte Mann kratzt sich hinterm Ohr, während er an seinem Schreibtisch Platz nimmt.
»1914, als Isabelle sie haben wollte für das, was jetzt deine Aufgabe ist, da war sie, schätze ich einmal, vielleicht zwanzig. Ein bisschen älter als du. Nun, du kannst ja rechnen. Zehn Jahre sind vergangen.«
»Und sie ist nicht die Enkelin des Bruders von Isabelle, sondern die Tochter?«
»Die Tochter«, bestätigt Gaston.
»Also eigentlich meine Tante?«
»Deine Tante.«
Leonie schweigt einen Moment. »Sie weiß nichts von meinemAuftrag, nicht wahr? Ich komme zunächst nur als Schülerin zu ihr.«
Gaston nickt. »Deine Aufgabe wird es sein, Zugang zu ihr zu finden, herauszubekommen, ob das Mem direkt bei ihr zu finden ist oder ob es viel leicht noch andere Verwandte gibt, wie das ja in Berlin der Fall war. Und – sie zu überzeugen von der Wahrheit der alten Geschichte. Dass der Golem, der Mann aus Lehm, das Unglück aufhalten kann, das droht, über die Juden hereinzubrechen.« Er lächelt traurig. »Das könnte nicht einfach sein.«
Leonie seufzt. »Ja. Aber wie ist sie?«, fragt sie dann.
Gaston verzieht den Mund. »Ich habe keine Ahnung und Isabelle auch nicht. Sie ist zunächst einmal sehr ... zugeknöpft. Ich brauchte starke Argumente, um dich bei ihr als Schülerin unterzubringen.«
Ja, Geld, denkt Leonie. Lässt es auf sich beruhen. »Hast du gar nichts von ihr? Kein Bild? Wenn sie so berühmt ist ...«
Gaston zieht die Schublade des Schreibtischs auf, holt ein Papier heraus. »Einen Brief«, sagt er. »Wenn du meinst, dass Handschriften etwas über den Schreiber aussagen ...«
Es ist ein großformatiges Büttenpapier mit Goldrand. Gerade zu fürstlich. Da kann man es schon mit der Angst zu tun bekommen! Gaston hält es Leonie hin, und sie sieht, im Gegensatz zu dem protzigen Blatt, eine feine, klare Schrift, sorgfältig ausgeführte Schwünge, alles hängt aufs Genaueste zusammen, keine Brüche, keine wegrutschenden Linien. Einfach nur ein Stück in Schönschrift. Kalligrafie. Daraus kann man wirklich nichts über einen Menschen ablesen.
Übrigens hat sich die Schreiberin auf Französisch ausgedrückt.
Gaston schiebt das Blatt zu ihr, aber gibt es nicht her; er hält die gespreizten Finger so darüber, dass Leonie den Zusammenhang des Geschriebenen nicht herstellen kann. Aber irgendetwas von finanzieller Transaktion steht da auf alle Fälle – da ist das Dollarzeichen. Sie dachte es sich.
Gaston steckt den Brief wieder fort, holt dafür ein großes Kuvert aus braunem Papier aus der Schublade.
»So«, sagt er mit einem kleinen Seufzer, wie jemand, der endlich etwas Wichtiges erledigt hat. »Das, Leonie, sind deine Schecks und deine Wechsel. Madame Lascari wird von Hermeneau aus bezahlt, das muss dich nicht kümmern. Du aber sollst in dieser Stadt angemessen leben können. Du sollst dir eine eigene kleine Wohnung nehmen und dich kleiden, ernähren und bewegen, als seiest du unsere Tochter. Das haben Isabelle und ich so beschlossen. Das ist das Wenigste, was wir für dich tun können – was wir dir schuldig sind, nachdem du so Schlimmes erlebt und für uns so viel geopfert hast.«
Leonie starrt den alten Mann an. »Man kann das aber nicht bezahlen, das weißt du«, sagt sie leise, und die Kehle wird ihr eng. »Ich tue, was ich tue.«
»Das weiß ich, das wissen wir beide!«, sagt Gaston hastig. In seine Augen tritt ein Ausdruck von Panik, wie ihn Leonie noch nie an ihm wahrgenommen hat. »Ich bin einmal zu viel Geld gekommen. Und etwas anderes kann ich nicht einsetzen, um euch zu helfen. Um Isabelle zu helfen und der ganzen
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