Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
rettet sich mit einem Sprung, kein Gedanke an ein fließendes Schreiten. –
Sie klingelt an der großen Entreetür, wartet aber nicht ab, bis ihr jemand öffnet, und geht gleich hinein. Schließlich hat ihr die Hausherrin gesagt, sie hätte jederzeit Zutritt, und bemerkbar gemacht hat sie sich ja.
Ein rundliches Mädchen in ihrem Alter, Haare unterm Kopftuch, kommt herbeigestützt ( die ist nicht barfuß, stellt Leonie fest, das scheint das »Privileg« der Herrschaften zu sein!), knickst und schnappt zweimal nach Luft, bevor sie sagt: »Sie san die Fräulein aus Berlin, no? Wos schaffen’s?« (Leonie nimmt an, man fragt sie nach ihren Wünschen.)
»Ich bin die Fräulein aus Berlin, richtig«, sagt sie. »Und möchte mir das Haus anschauen.«
»Dös Haus anscha’n?« Sie rollt mit den Augen. »Ja, i woas net. Die Frau Pfleiderer ... «
Die Frau Pfleiderer kommt schon angestürzt, bereit, Unheil abzuwenden. Heute trägt sie eine Brille auf der Nase und hat vorn an ihrem Kleid eine große Brosche aus Emaille.
»Ich möchte mir das Haus ansehen«, insistiert Leonie freundlich. »Madame Lascari hat mir gesagt, dass ich das jederzeit tun könnte. So ein schönes Palais – das muss man doch genießen!«
»Das Haus ansehen!«, wiederholt die Pfleiderer nervös und streicht ihre Schürze mit beiden Händen glatt. »Selbstverständlich, gnä’ Fräulein. Wär es Ihnen recht in einer Stund’? Ich hätte noch ein paar unaufschiebbare Arbeiten.«
Leonie mimt die Erschrockene. »Aber ich will Sie doch in tatsächlich keiner Weise von Ihren Obliegenheiten abhalten, FrauPfleiderer! Ich brauche keine Begleitung. Ich kann das ganz allein.«
Nun ist es an der Haushälterin zu erschrecken. Sie schiebt ihre Brille erst auf dem Nasenrücken nach oben, nimmt sie dann ab, steckt sie in die Schürzentasche, streicht zur Abwechslung ihren Rock an den Seiten glatt und sagt dann beflissen: »Nun, es lässt sich schon einrichten. Ich stehe zur Verfügung.« Dann sieht sie, dass das Mädchen mit dem Kopftuch noch dasteht, und ihre Stimme wird spitz: »Ich kann mir nicht vorstellen, dass du schon fertig bist mit den Fenstern zur Straße, Nannerl!«
Nannerl verschwindet.
Also nichts damit, allein durchs Haus zu streifen und nach Verstecken für goldene Buchstaben Ausschau zu halten. Jedenfalls vorerst nicht. Aber mit dieser Pfleiderer muss sie sich auf jeden Fall gutstellen. Ohne die scheint hier nichts zu gehen.
»Das ist wirklich überaus freundlich von Ihnen!«, sagt Leonie und gibt sich Mühe, ehrlich zu klingen. Auch bei der »Führung« spart sie nicht mit »Ah« und »Oh« und mit Bemerkungen wie »sehr geschmackvoll!«, »wirklich nobel« und »überwältigend«, und dazu muss sie sich keinesfalls verstellen, denn was sie zu sehen bekommt, ist alles wirklich geschmackvoll und nobel bis überwältigend. Den Empfangssalon kennt sie ja schon, ebenso den »großen Salon« (da hängt das imponierende Porträt der Hausherrin) und das sogenannte »Frühstückszimmer«, wo sie den schlafenden jungen Mann im weißen Anzug vorfand (man frühstückt in diesem Haus also – das erstaunt sie).
Dann gibt es noch das »Speisezimmer« mit einem großen polierten Mahagonitisch auf spiegelndem Parkett und einer riesigen Anrichte, den »Rauchsalon«, den »Wintergarten«, die »Bildergalerie« (wieder viel Gold, aber auch ein paar leere Stellen, Vier ecke, wo die Tapete heller ist!) und den »Theatersaal« (den kennt sie ja auch schon).
Eine ganze Flucht von repräsentativen Räumen. Eine Bibliothek wie auf Schloss Hermeneau gibt’s nicht. Jedenfalls wird sie ihr nicht gezeigt. Und wo lebt Madame eigentlich? Und der Edlevon Rofrano, wo haust der? Schlafzimmer, Boudoirs oder dergleichen spart Frau Pfleiderer aus; an einer bestimmten weißgoldenen Schleiflacktür, zweiflügelig, geht die »Führung« so konsequent vorbei, als stünde »Eingang verboten« daran.
Eine schmale Stiege führt nach oben. »Dienstbotenräume, die Gastzimmer und mein kleines Reich«, bemerkt die Haushälterin, und Leonie hakt sofort ein und sagt erstaunt: »Oh, es gibt Gastzimmer im Haus? Aber ist es da nicht zweckmäßiger, ich würde in eins dieser Zimmer ziehen? Es wäre doch viel praktischer!«
Die Pfleiderer hat sich offenbar verplappert. Hastig fährt sie sich wieder mit den Händen über die Schürze und ihre Augen irren umher auf der Suche nach der passenden Ausrede. Schließlich sagt sie: »Die gnädige Frau hat angeordnet, dass wir die Depen dance
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