Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Personal.
»Na«, sagt Leonie, ungerührt munter, »dann wollen wir doch mal sehen, was heute auf den Tisch kommt. Ich schließ mich dann an, wenn Sie erlauben.« –
9
Die Küche ist, wie nicht anders zu erwarten bei so einem Haus, weiträumig – und, oh Jammer, unbenutzt. Kalt und tot, stellt Leonie fest. Keine alten, irgendwo hängen gebliebenen Gerüche, die an frühere Gaumenfreuden erinnern, keine abgenutzten Lieblingspfannen oder Tiegel, kein Zwiebelzopf oder Kräuterstrauß; der Herd (ein Elektroherd, das Neuste vom Neuen!) ist abgedeckt und der Kühlschrank sieht schon von Weitem so aus, als bestünde sein Inhalt nur aus ein paar traurigen Zitronen.
Sie geht über das kühle Schachbrettmuster des Fußbodens auf zwei Türen ganz hinten am Ende zu wie durch ein leeres Kirchenschiff und lässt die Pfleiderer zurück, die sich auf diesen Fliesen so vorsichtig bewegt, als wären sie Glatteis, und »Gnä’ Fräulein, da is nix zu sehen!« ruft.
Die eine Tür, da ist sie sich sicher, führt in den Gang zu ihrem Anbau. Sie ist verriegelt. Die andere indessen, wie sie sieht, nur angelehnt, und dahinter hört sie Stimmen, Lachen, klappert Besteck.
»Was ist denn dort?«, fragt sie über die Schulter, und die Haushälterin sagt atemlos: »Das ist die Gesindestub’, gnä’ Fräulein.«
Aus der Gesindestube dringen übrigens nicht nur Geräusche, sondern auch, im Kontrast zu der sterilen Küche, ein kräftiger Essens duft, wenn man näher kommt. Majoran und Zwiebel, erkennt Leonie. Ihr läuft das Wasser im Munde zusammen. »Bestimmt fällt da ein Tellerchen für mich ab!«, sagt sie resolut.
»Aber gnä’ Fräulein ...«
Sie stößt die Tür auf.
Gespräch und Gelächter verstummen augenblicklich. Drei Augen paare starren sie an. Am Tisch sitzt ganz oben, gleichsamauf dem Ehrenplatz, Joseph, der schnauzbärtige Kutscher, der sie gefahren hat (gleichzeitig Gärtner und Heizer, hat Felice gesagt), das rundliche Mädchen mit dem Kopftuch (»das Nannerl«) und eine junge Frau mit Stupsnase, das blonde Haar unterm Dienstmädchenhäubchen (das muss dann wohl »das Lieserl« sein). Vor jedem von ihnen steht ein gehäufter Teller mit Essen – und wenn es auch etwas merkwürdig aussieht, es riecht gut.
»Grüß Gott!«, sagt Leonie und kommt sich dabei ein bisschen albern vor, aber es ist wohl genau das Richtige. Die drei geben ebenfalls zu verstehen, dass sie Gott grüßen würden, und beugen sich dann über ihre Teller, als gelte es, einen Rekord an Schnelligkeit aufzustellen. Nur das Lieserl ist unter Stuhlscharren aufgesprungen und überreicht Frau Pfleiderer eine Schüssel unter einer versilberten Wärmehaube. »Bittschön, Ihre Speis, wenn’s recht ist.«
So ist das also. Die Haushälterin isst zwar das Gleiche wie die Dienstboten, aber nicht mit ihnen gemeinsam . Wie’s aussieht, schleppt sie ihre Portion hoch in den ersten Stock, in »ihr kleines Reich«.
Leonie betrachtet sie neugierig von der Seite, wie sie dasteht, ihr Mittagessen mit beiden Händen haltend, unfähig infolgedessen, noch eine ihrer Verlegenheitsgesten auszuführen (Schürze glatt streichen, Brille auf- oder absetzen). Sie ist gleichsam erstarrt. Was soll sie tun? Abziehen mit ihrem Essen? Es stehen lassen und Leonie weiter an den Fersen kleben? Es muss für die arme Frau eine furchtbare Situation sein.
Die Hausbesichtigung ist ausgeartet. Sie hatte nur vor, der »jungen Dame« das Palais gleichsam im Galakleid zu präsentieren. Nun sind sie unversehens zur Unterwäsche gelangt.
Leonie beschließt zu helfen. »Bitte, Frau Pfleiderer, lassen Sie sich nicht aufhalten. Ich wünsche guten Appetit. Ich finde schon allein zurück. Danke für Ihre Bemühungen!«, sagt sie freundlich.
Einen Augenblick zögert die Haushälterin noch. Aber wenn sie »die Fräulein aus Berlin« jetzt auffordern würde mitzukommen und die würde ihr nicht folgen – das wäre ja ein Verlust an Ansehenvor den Leuten. Also entschließt sie sich, kurz zu nicken und mit ihrer Schüssel zu verschwinden.
Würde sich diese Szene in einem Berliner Haus dieser Größenordnung abspielen – das weiß Leonie –, würde es jetzt bestimmt ein paar respektlose Bemerkungen auf Kosten der »Vorgesetzten« geben, egal ob da noch jemand Fremdes zuhört, aber dazu ist man hier in Wien offenbar zu unterwürfig. Jedenfalls isst man stumm weiter, während Leonie mit schnellem Blick eine Bestandsaufnahme dieser Gesindestube vornimmt. Spinde, sicher mit den »Privatsachen« der
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