Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Leute, eine zweite Tür. Das wird wohl dieser Eingang »Lieferanten und Domestiken« sein, der von außen zu sehen ist. (Domestiken nennt man hier die Dienstboten).
Du lieber Gott, sie haben ja nicht einmal in der großen Küche gekocht! Es ist hier ein zweiflammiger Petroleumkocher aufgestellt und es gibt extra Geschirr und einen Kasten mit Besteck – als wenn die ganze Pracht da nebenan nur eine Attrappe wäre!
Leonie tritt näher. Ihr Magen knurrt. »Was ist das denn Schönes?«, fragt sie mit einem Blick auf das schwarzbraune Gemenge auf den Tellern und im Topf.
»Das Lieserl« ergreift das Wort, nachdem sie einen Bissen heruntergeschluckt hat, und sagt leise: »Blunzengeröstl.«
Was auch immer Blunzengeröstl bedeutet, es riecht gut. »Darf ich wohl mal probieren?«, fragt sie. »Übrigens, ich bin Leonie Lasker aus Berlin, die Verwandte von Frau Lascari. Aber das wissen Sie ja wohl schon.«
Keiner sagt dazu ein Wort, aber Lieserl steht auf und füllt mit größter Selbstverständlichkeit einen Teller voll und stellt ihn auf den Tisch vor einen freien Stuhl, und offenbar hat sie begriffen, dass der Gast, der sich da selbst eingeladen hat, mehr will, als nur probieren, denn das ist eine anständige Portion.
Leonie setzt sich und führt die erste Gabel zum Mund.
Aha. Kartoffelscheiben, viel gebratene Zwiebel, und das Dunk - le, was dann wohl die »Blunzen« sind, so etwas nennt man in Berlin einfach Blutwurst. Majoran hat sie vorhin schon gerochen, und Kümmel ist da dran in einem guten Verhältnis, und das Ganzeschwimmt in Schweineschmalz. Schweineschmalz! Leonie verkneift sich ein Lachen. Wenn das Isabelle wüsste! Nichts vom Schwein kommt jemals auf den »koscheren«, den nach rituellen jüdischen Geboten sauberen Tisch ihrer Ahnfrau, und sogar ihr Vater, obwohl er ja nichts vom Judentum wissen wollte, lehnte es ab, mit Schmalz zu kochen.
Übrigens, es schmeckt, und das sagt Leonie auch. (Endlich mal wieder satt!)
Lieserl lächelt. Das Lob lockert die Stimmung auf. Joseph erhebt sich, holt von einem Bord eine Kanne und schenkt vier Becher ein; ein leichter Tischwein, der ein bisschen moussiert. Man trinkt sich zu.
»Kochen Sie auch manchmal für die Herrschaften?«, wendet sich Leonie nun an die junge Frau. »Sie scheinen doch eine sehr gute Köchin zu sein.«
»Ach, wo denken’s hin!«, wehrt Lieserl ab und wird rot unter ihrer Haube. »Das ist doch bloß Hausmannskost, nichts für die feine Küche!«
Wo mag die hier nur stattfinden, die feine Küche?, denkt Leonie und kratzt die Reste von ihrem Teller zusammen. Alle essen doch ständig auswärts. »Aber Sie können doch würzen und alles auf den Punkt bringen! Das gilt dann doch sicher auch fürs Feine!«, widerspricht sie. Und da man sie zweifelnd anstarrt, fügt sie hinzu: »Ich verstehe was davon. Mein Vater ist Koch.«
Die Mitteilung löst zunächst stummes Erstaunen am Tisch aus.
Leonie muss lächeln. Eine von den »Herrschaften« mit ihnen am Gesindetisch, eine Verwandte der gnädigen Frau, der großen Lascari, und sie hat einen Koch zum Vater! Das geht offenbar über den Horizont der »Dienstboten« hinaus. Es entpuppt sich aber als etwas ganz anderes. Etwas, womit sie nicht im Traum gerechnet hat.
Denn schließlich platzt Joseph heraus: »Aber so an Ding hab ich nie gehört!«
»Was für ein Ding?«, fragt sie amüsiert nach.
Joseph kaut an seinem Bart. »Das solche Leute so an Metier machen dürfen. Also ich mein: jüdische Leute.«
Leonie vergeht das Lachen. Sie fühlt, wie ihr heiß wird. Auf einmal ist »das Thema« da. Seit ihrer Abreise aus Berlin hat sie gelebt wie – ja, wie isoliert. Und nun steht ihre jüdische Herkunft im Gesindezimmer zur Debatte? Sie glaubt, ihren Ohren nicht zu trauen. Dabei: Der Mann meint das nicht böse oder abfällig. Er sieht sie mit großen Augen an, schüttelt den Kopf. Er wundert sich einfach nur. Aber, Himmelherrgott, worüber denn bloß? Dass ein Jude Koch von Beruf sein kann? Was denkt er denn, was Juden machen? Nur Schnürsenkel an der Tür verkaufen? Oder in Banken sitzen?
Sie sieht die beiden jungen Frauen am Tisch an. Sie nicken zustimmend. Für sie haben Juden auch nicht »so an Metier«.
Plötzlich hat sie keine Lust mehr, hier zu sein, und von dem Schweineschmalz bekommt sie einen ranzigen Geschmack im Mund. Sie steht auf. »Danke fürs Essen«, sagt sie und zwingt sich, freundlich zu sein, »und glauben Sie mir, es gibt mehr jüdische Köche auf der Welt als christliche
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