Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
dem, was Julia fühlen muss, und beginne leise, in Panik, drängend: »Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern.«
Die klare Stimme Felice-Romeos, die auch jetzt genau die Waage hält zwischen Aufsagen und Ausdeuten, hilft mir, nicht in meinen Gefühlen zu versinken. Sie rettet mich davor, mich zu verlieren, bringt mich immer wieder auf den Boden zurück. Das ist Theater! Du spielst die Julia, du bist sie nicht. (Du spielst den Helden, du bist es nicht!, hatte einst sein Vater zu ihm gesagt, zu Schlomo, damals, als der Mob im Theater saß. Als die Leute mit den braunen Uniformen und den Armbinden uns mit Tomaten und faulem Obst und Steinen bewarfen, weil wir dies Stück spielten, »Bar Kochba«, in dem sich Juden gegen etwas auflehnen ...)
Um Gottes willen, Konzentration! Alle Gedanken versammeln auf das, was ich mache!
Aber als ich an der Stelle angekommen bin, an der Julia sagt: »Oh Gott! Ich hab ein Unglück ahnend Herz. Mich däucht, ich säh dich, da du unten bist ... «, bricht Felice ab.
»Danke, Schluss«, sagt sie. »Du beginnst dich aufzuregen, nimmstvorweg, was passieren wird.« Sie hat es gemerkt, hat das Vibrieren, die andere Schwingung in meiner Stimme bemerkt!
Nun kommt sie endlich aus dem Dunkel heraus, wird vom Schatten zur Person, steigt auf die Bühne, steht vor mir, wippt auf den Zehen. Sie ist barfuß. Hier trägt man entweder klappernde Absatzschuhe oder läuft barfuß herum, wie der junge Mann.
Sie umkreist mich von allen Seiten, mustert mich, als habe sie mich nicht schon lange genug angeguckt da aus dem Saal. Taxiert mich irgendwie. (Jetzt holt sie auch noch ihren Lippenstift aus der Rock tasche und zieht sich die Lippen nach – merkt sie überhaupt, dass sie das tut?) Ich halte es nicht mehr aus.
»Und?«, frage ich.
»Na ja«, sagt sie, und es klingt abschätzig. »Atmung und Zeiteinteilung – nicht übel. Und die Sicht auf die Figur – tja. Was ist denn da in deinem Köpfchen vorgegangen? Eine Julia mit Trauerflor sozusagen. Du lädst uns schon jetzt zum Begräbnis ein. Aber nicht übel, wie gesagt.«
Ich schlucke. Während sie mir aus dem Dunkel die Stichworte gab, da habe ich doch gemerkt, dass sie Anteil nahm an dem, wie ich das gemacht habe. Es muss ihr gefallen haben, sonst wäre sie nicht so dabei gewesen. Da war sie doch nicht so ... kalt.
Nun gut, denke ich. Sie ist die Lehrerin. Vielleicht gehört es zu ihrer Methode, nicht zu zeigen, wenn sie etwas beeindruckt hat. Und jetzt höre ich sie sagen: »So. Nun können wir anfangen.«
Ich denke, sie will mit mir an der Rolle arbeiten! Aber weit gefehlt. Stattdessen stellt sie ein Bein vor, knickt das andere ein und setzt sich auf den Boden, schlägt dann beide Beine unter, sodass sie auf den Knien hockt, und erhebt sich wieder – all das in einer einzigen fließenden Bewegung.
»Jetzt du!«, kommandiert sie.
Ich hatte ein paar gebrochene Rippen und eine kaputte Schulter und das tut manchmal immer noch weh. Soll ich darauf hinweisen? Natürlich nicht. Ich versuche es also, aber es sieht wohl nicht sehr geschickt aus, und ich muss ein leises Stöhnen unterdrücken.
Sie lächelt ironisch.
»Jetzt das.« Sie geht die Bühnenstufen wieder herunter und greift sich von irgendwo da aus dem Dunklen einen Stuhl, einen ganz gewöhnlichen Holzstuhl, wie ich sehe, dessen Polsterauflage sie nun beiseitetut. Sie stellt ihn vor sich hin, mit der Sitzfläche zu ihr gekehrt, dann springt sie drauf, platziert ihren linken Fuß an der vorderen äußersten Kante, stellt den rechten oben auf die Lehne und verlagert ihr Gewicht langsam und stetig nach vorn, bis der Stuhl in einer glatten Bewegung auf die Hinterbeine kippt und dann, Lehne voraus, umfällt. Alles geht ganz schnell, und es sieht aus, als wäre sie über diesen Stuhl hinweg gegangen .
»Bitte.«
Ich kippele und balanciere vorsichtig, muss gestehen, dass ich Angst habe hinzufallen, und es passiert dann auch beinah. Ich rette mich nur mit einem Sprung; der Stuhl knallt auf den Bühnenboden.
Kein Kommentar von Felice. Das ist schlimmer, als wenn sie etwas sagen würde.
»Ich werde das üben!«, sage ich. Meine Wangen glühen.
Sie nickt. »Geh zu Frau Pfleiderer und lass dir von ihr einen schönen großen Korken geben, am besten einen Sektkorken. Den nimmst du zwischen die Zähne, und auf diese Weise arbeitest du die ganze Partie der Julia durch. Es muss genauso sauber artikuliert sein wie ohne Korken.«
»Was?«, sage ich entgeistert. »Das geht doch gar nicht.
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