Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
wohltätig.
Aber irgendwie muss mein Vater bei ihnen nicht den richtigen Ton gefunden haben ...
Da war dann die letzte Instanz die Tochter eines fetten türkisch-jüdischen Gewürzhändlers. Sie war nicht mehr jung und er schon ein bisschen angegraut. Aber immerhin, für ein Kind hat’s noch gereicht. Du siehst es vor dir.«
Felice schnaubt durch die Nase, verächtlich, als könne sie sich selbst nicht leiden.
»Als ich klein war, hab ich immer gedacht, meine Eltern wären eigentlich meine Großeltern, bei denen mich meine wahren Erzeuger nur abgeladen hatten, weil ich ihnen im Weg war. Grauhaarig waren sie inzwischen beide, schlampig und ständig im Streit. Meist ging’s ums Geld. Geld war nie da.«
»Warum erzählst du mir das?«, sagt Leonie abweisend. »Jetzt bist du ja die große Felice Lascari.«
»Eben«, entgegnet die Schauspielerin grimmig. »Und darum möchte ich nicht auf meine Vergangenheit gestoßen werden. Auf keinerlei Vergangenheit. Auch bei denen nicht, die mir nahestehen. Was gestern ungut war, das soll man abstreifen wie einen alten Hundschuh.«
»Deine Vergangenheit ... Aber ich habe doch nicht ... «, will Leo nie aufbegehren.
»Lass mich mal reden«, unterbricht sie die andere. »Vielleicht verstehst du ’s ja doch noch.« Sie lehnt sich zurück auf der Bank, und Leonie steigt ihr Duft in die Nase, irgendetwas Kühles und Herbes. So wie sie ist. Wie sie zu sein scheint.
Felice fährt fort: »Ich möchte wetten, du musstest den halben Naschmarkt abklappern, um an die Gewürze und Zutaten zu kommen. Du musstest bis ganz hinten zur Rudolfsbrücke. Und da hast du dann einen Stand gefunden mit dem Schild ›1001 Nacht – Die Wohlgerüche Arabiens‹. Stimmt’s?«
»Ja, stimmt. Du kennst das?«
»Und ob ich das kenne.«
Der Rest von Felices Zigarette fliegt im hohen Bogen durch die Nacht, ein Glühwürmchen, landet auf dem Rasen und verlischtdort. »An diesem Tisch, da auf dem Naschmarkt, hat die kleine Felicitas Lascari, die niedliche Tochter des alten Jakuv und seiner Frau Lea, tagaus, tagein nach der Schule gestanden und hat Gewürze und Kräuter verhökert – ein nettes Gesicht ist immer verkaufsfördernd, denn außer ein paar Türken wollte ja eigentlich niemand so ein Zeug haben. So jedoch blieb der eine oder der andere ›Goi‹ stehen. Die Juden kaufen eh in der Leopoldstadt ein.
Es muss ein Glück für meine Eltern gewesen sein, dass ich ein Mensch bin, für den Essen unwesentlich ist, denn sie nagten am Hungertuch. Mein Gott, ich weiß nicht. Vielleicht habe ich mir ja damals auch das Essen für immer abgewöhnt.
Aber am Sabbat! Am Sabbat war heile Welt. Da kochte Vater mit Fuego y sapor und sang mit mir und Mutter Lieder, die ich nicht verstand. Eines hieß: ›Avram avinu‹.« Sie singt den Anfang, singt mit Ingrimm: »Vido una luz santa en la giuderia.« Ich sah ein heilig Licht bei den Juden. »Daraufhin wurde dann die ganze Woche geknausert. Das war meine Kindheit. Eine Kindheit ziemlich weit unten. Und mein Traum, Theater zu spielen – das war eben nichts weiter als ein Traum. Wer sollte das bezahlen? Darum habe ich eine gewisse – hm – Aversion gegen diese ganze ... Jüdelei. Auch in der Küche.«
»Ich verstehe nicht, was das alles mit dem Jüdischsein zu tun hat«, sagt Leonie. Ihr ist beklommen zumute bei dieser Geschichte. »Das Armsein ist doch keine jüdische Eigenschaft. Und dann: Es gab Isabelle. Die Schwester deines Vaters. Sie war doch – nicht arm. Gaston und sie hätten euch doch bestimmt geholfen.«
»Bestimmt«, sagt Felice bitter. »Aber du vergisst, dass sie im Zorn auseinandergegangen waren, die drei Brüder und Isabelle. Mein alter trauriger Vater war leider viel zu stolz, sich mit einer Bitte an sie zu wenden, obwohl er ganz genau wusste, in welchen Lebensumständen das Paar in den Pyrenäen sich befand. Da wäre er lieber verhungert. Als meine Mutter starb, verkauften wir den Stand auf dem Naschmarkt, um ihre Beerdigung zu bezahlen und mit der Gemeinde die Trauerzeit zu begehen. Der Nachfolger hat ihn immer noch, glaube ich. So ein Orientale mit Schnauzbart?«
»Ja«, sagt Leonie leise. »Erzähl weiter.«
»Ach, da ist nicht mehr viel zu erzählen. Jakuv Ben Lascari hatte eben kein Händchen für Geld und viel war auch nicht übriggeblieben vom Verkauf des Gewürzstands. Irgendwann war er wieder auf der Ebene, auf der er in Wien angekommen war – bei null. Wieder zog er mit dem Bauchladen von Hintertür zu Hintertür. Bloß leider
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