Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
gar nicht Teil irgendeiner alten aberwitzigen Geschichte. Es ist – wie sagt man doch: ein Einzelstück. Etwas, was es nur einmal auf der Welt gibt. Und ich habe es. Ich ganz allein. Das Markenzeichen von Felice Lascari. Warum sollte ich mich davon trennen? Es ist so einmalig, wie ich selbst es bin. Es ist ich.«
Sie senkt die Stimme: »Wir Theaterleute sind nun einmal abergläubisch. Ich habe das Mem getragen, als ich meinen verstorbenen Mann kennengelernt habe. Ich hatte es um den Hals, als ich am Burgtheater vorsprach. Und ich trug es, als mir Flusch über den Weg lief.« Sie schluckt, sagt dann beiläufig, die Augen niedergeschlagen: »Und wenn’s auch manchmal nicht so aussieht: Anton ... das war mit das Beste, was mir begegnet ist. Nicht jeder hält’s mit mir aus, wie du dir vielleicht vorstellen kannst.
Also du verstehst? Der Buchstabe ist mein Talisman. Ich gebe ihn nicht her.«
Leonie schweigt. Es wäre einfacher, wenn es nur eine Laune wäre mit dem Zeichen um ihren Hals, denkt sie.
Und doch. Sie hat sich nicht mit dem Mem porträtieren lassen, sondern mit einer simplen Korallenkette. Warum wohl? Wollte sie sich der Welt denn doch nicht als Jüdin zeigen? Wenn ich jetzt frage, sagt sie bestimmt, das Gelb des Goldes hätte nicht zum Kleid gepasst oder der Maler hätte es gefordert oder dergleichen. Sie wäre um keine Ausrede verlegen.
Für heute ist das Spiel ausgereizt, das spürt Leonie. Das Kampfziel ist nun bekannt. Das wird eine harte Arbeit.
»Kann ich bitte ein Stück von der Decke wiederhaben? Jetzt friere ich .«
Felice steht auf. »Du kannst die ganze Decke haben. Ich gehe schlafen. Nichts für ungut, Leonie. Ich wollte nur nicht, dass du hier herumsitzt und beleidigt bist wegen deines verunglückten Dinner-Einfalls. Hab ein bisschen zu viel geredet, scheint mir. Gute Nacht. Ach, übrigens: An deiner Stelle würde ich die alte Dame in den Pyrenäen so lange wie möglich hinhalten. Damit du in Ruhe deine Ausbildung fertig machen kannst. Na, so schlau wirst du ja wohl selbst sein.«
Sie erhebt sich und geht mit ihren leichten lautlosen Schritten über den Rasen davon – den Schritten einer Siegerin.
Leonie sieht ihr nach.
Meine liebe »Cousine«, du denkst, du hast das Spiel gewonnen. Es hat aber überhaupt noch nicht angefangen.
17
Sie träumt wieder. Träumt verworrenes Zeug. Von einem Talisman, den sie in Hermeneau aus dem Meer fischen muss, aber die Flut steigt, und immer wenn sie nach dem blitzenden Ding greifen will, liegt es in noch tieferem Wasser als vorher. Träumt von ihrem großen Hut, den sie von Berlin nach Hermeneau mitgenommen hat und von dort wieder hierher und den sie jetzt nicht tragen kann, denn in Wirklichkeit ist er das Riesenrad vom Prater.
Als sie aufwacht, ist es Tag – der erste trübe Tag seit ihrer Ankunft hier in Wien. Es hat angefangen zu regnen; zuerst nieselt es nur, dann wächst es sich zu einem kräftigen Schauer aus.
Leonie arbeitet ihr Pensum. Und mitten im Arbeiten fällt ihr etwas ein. Etwas von dem Gespräch gestern Abend, das sie zunächst einmal weggedrückt hat. Das von Felices Alter. Sie hat die ganze Zeit, seit sie hier ist, gedacht, die Lascari sei jetzt erst dreißig, obwohl ihre Züge schärfer sind. (Sie hat es aufs Schminken und die »große Mimik« geschoben.) Gaston hat es ihr doch erzählt! Isabelle hatte ihre kabbalistischen Berechnungen angestellt und ein »junges Mädchen« in Wien entdeckt, Tochter ihres Bruders, ein Mädchen von zwanzig Jahren, das dazu ausersehen sein konnte, die drei Zeichen zu finden und zu ihr zu bringen.
Ein junges Mädchen?
Was ist da geschehen? Hat Isabelle sich verrechnet? Hat ihr jemand ein falsches Geburtsdatum genannt? Es ist verwirrend. Isabelle irrt sich?
Darüber wird sie mit ihr sprechend müssen, später, wenn sie wieder in Hermeneau ist. Für jetzt ist es ohnehin egal ...
Gegen Mittag geht sie ins Haupthaus, um nachzuschauen, ob »das Personal« gestern alles in Ordnung gebracht hat. Schließlich war es ihr Abend und sie sollte sich vielleicht bedanken.
Sie steht in der Küche, und die sieht aus, als wenn hier nie gekocht worden wäre. Es riecht, wie es in einer Küche nie riechen sollte. Nach Chemie. Die Fliesen wurden gebohnert – daher dieser »Duft« wie in einem Berliner Treppenhaus. Der Herd ist abgedeckt und der Tisch geschrubbt. Das Geschirr steht oder hängt in Reih und Glied, als wären wir hier in Preußen.
Sie öffnet den Kühlschrank.
Voller Reste. Warum haben die das
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