Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
sauer, dass er mich so angeschwindelt hat über seine Familie.)
Ach, Schlomo, wenn ich dich doch jetzt bei mir hätte! Wenn mir deine Heiterkeit, dein Mut und dein Elan doch einen Weg zeigen könnten! Aber ich weiß ja, du antwortest mir nicht mehr. Hast mir ja auch als »Dibbuk« nichts sagen können als das, was ich schon wusste ...
Es ist dunkel inzwischen. Sabbatabend. Das Sabbatmahl. Mein Erfolgsrezept. Leider nicht in jedem Fall.
Ich mag nicht hier drin bleiben. Mir fällt die Decke auf denKopf. Draußen bietet sich mir immer noch Flieder an, die Nachtigallen halten heute den Schnabel. Mir auch recht.
Leichte Kühle weht durchs offene Fenster. Ich nehme mir eine Decke vom Bett und verlasse meinen Anbau. Gehe in den kleinen Park, den ich von meinem Fenster aus sehen kann. Da ist diese Holzbank zwischen den beiden Kastanien. Zuerst fege ich die abgefallenen Blütenblätter vom Sitz. Dann wickele ich die Decke um mich und strecke mich aus, gucke nach oben und suche die Sterne. Aber wir sind ja nicht auf Hermeneau, sondern mitten in Wien. Da sind Sterne in der Nacht genauso rar wie in Berlin. –
»Schläfst du?«
Leonie richtet sich auf. Vor ihr glüht der rote Punkt einer Zigarette.
(Sie hat Felice nicht kommen hören; wahrscheinlich läuft sie ja wieder ohne Schuhe durch die Gegend, egal wie frisch das Gras und wie kalt der Erdboden ist.)
»Nein«, erwidert sie. »Jetzt bestimmt nicht mehr.«
Die Schauspielerin lacht kurz auf und setzt sich neben Leonie auf die Bank. »Du warst nicht in deiner kleinen Wohnung«, sagt sie.
»Nein. Ich bin hier.«
»Ja.« Pause. »Du bist enttäuscht, nicht wahr?«
»Nein. Ich bin beleidigt.«
»Ich verstehe. 1001 Nacht. Fuego y sapor, nicht wahr? Die jiddische, die sephardische Meschpoche. An das Gefühl der Zusammengehörigkeit appellieren durch ein Essen.« Sie schweigt. Fährt dann fort: »Nein, ich wollte dir etwas anderes erklären.« Wieder leuchtet ihre Zigarette auf. »Warum ich das jüdische Zeug nicht mag.« Erneut eine Pause. »Ich weiß nicht, woher die Legende stammt, mein Vater hätte in der Türkei ein Handelshaus besessen. Vielleicht hat er das ja selbst in die Welt gesetzt, in einem prahlerischen Brief an seine Schwester Isabelle, weil er sich geniert hat für die Wahrheit. Diese Wahrheit ist: Die reichen Verwandten seiner ersten Frau, die er in Konstantinopel zu finden hoffte, die warenzwar da, aber die zeigten ihm die kalte Schulter. Sie benahmen sich beinah so, als wenn sie Türken wären. Da half es auch nichts, dass sich Jacob Lasker in Jakuv Ben Lascari umbenannte, seinen Namen ›türkisierte‹. Sie wollten trotzdem nichts von ihm wissen.« Sie lacht wieder. »Eine Zeitlang soll er sich als Musiker versucht haben, aber damit hatte er kein Glück, weder europäische noch sephardische Musik waren in der Türkei gefragt. Nach dem Tod seiner Frau fiel dann auch die letzte noch so spärliche Unterstützung durch deren Anverwandte weg.«
Felice räuspert sich. Sie zieht ihre nackten Füße hoch auf die Bank, verhüllt sie mit dem Rock. Es ist doch ziemlich frisch des Abends draußen.
»Mein zukünftiger Vater«, fährt sie fort »denn damals war ich noch nicht auf der Welt, beschloss, wieder nach Europa zurückzugehen, sich durchzuschlagen bis nach Österreich. Bloß wie? Nun, von seinem letzten Geld kaufte er sich einen Bauchladen und ein bisschen Kram, von dem er hoffte, dass es Landfrauen gefallen könnte: billigen Schmuck, Garne und Wollen, Fläschchen mit angeblichen Heilmitteln und Liebestränken. Gewürze. Und so zog er denn los von der Türkei durch den Balkan nach Ungarn hinein, das gehörte ja damals noch zur österreichischen Monarchie, und schließlich landete er in Wien.«
Ihre Zigarette glüht erneut auf. (Ein Bauchladen! Mir fällt der Hausierer wieder ein, den die Kinder verhöhnten auf der Straße...)
»In seiner Jugend muss er ein ganz hübscher Kerl gewesen sein und damals, auf seiner Wanderung, wohl auch noch. Jedenfalls, wenn gar nichts mehr ging, gab es immer noch eine Frau, bei der er für eine gewisse Zeit unterkriechen konnte. Und in Wien hatte er auf die vielen Spaniolen gehofft. So nennen sie die Sepharden, die spanischen Juden, die einst ins Osmanische Reich geflohen und schließlich hierhergekommen sind. Die haben alle Geld. Haben keine Vertreibung und Verfolgung erleiden müssen hier in Wien, sie waren ja Staatsbürger der Türkei, die kamen, um Geschäfte zu machen. Es hieß von ihnen, sie seien sehr
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