Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
deshalb Ihre Nägel ab, weil Ihr Vater im Gefängnis ist?« (Es ist mir nur so herausgerutscht.)
Er wird rot und versteckt schnell seine Hände unterm Tisch. »Ach, das?«, sagt er und versucht sein Lächeln. »Ich weiß nicht, vielleicht auch. Angewöhnt hab ich’s mir halt im Internat, wo ich gewesen bin. Das war da nicht sehr nett. Und Nägelkauen ist immer noch besser als Heulen. Und was danach kam ... das war auch net immer nett. Nun werd ich’s nicht mehr los.« Er sieht mich von schräg unten an. »Sagen Sie, Leonie, bitte. Sagen Sie ’s mir. Warum sind Sie nie zu Ihrem Vater gegangen?«
Er will es wirklich wissen. (Vielleicht sucht er nach einem Grund, damit es auch ihm erspart bleiben kann ...)
Wer A sagt, muss auch B sagen! Wenn mir das vorhin nicht über die Lippen gekommen wäre, hätten sie beide jetzt ein völlig unverbindliches Gespräch. Sei ’s drum.
»Mein Vater saß in München ein und ich war in Berlin. Da konnte ich ihn schlecht besuchen. Er hat übrigens weder Schecks gefälscht noch irgendwelche Schulden gemacht«, sage ich. »Er hat an einem Umsturzversuch gegen die Regierung teilgenommen, damit Sie ’s denn wissen.« Die Tränen der Wut, des Zorns, des Schmerzes sitzen hinter meinen Augen wie eine dicke Wolke, ich hoffe bloß, sie wird sich nicht entladen.
Er hat mehr Ahnung vom Zeitgeschehen, der Herr von Rofrano, als ich vermutet habe. »München?«, sagt er und reißt die Augen auf. »Aber das war doch .., warten ’s mal, das war doch dieser Herr Hitler. Das war doch .., der rechte Pöbel, diese .., Nationalen. Ja, was in aller Welt hat denn a jiddischer Koch bei den abg’fahrnen Batzis zu suchen?«
Ich kriege keine Antwort zustande. Jedenfalls keine, mit der ich in zwei Sätzen erklären könnte, dass mein Vater alles andere sein will als ein »jiddischer Koch« – seine verdrehten Träume und Sehnsüchte – so deutsch zu sein wie möglich – seine Enttäuschungen – sein Verbergen und sein Verstecken ..,
»Ach, lassen wir das!«, sage ich, um dem ein Ende zu machen und ziehe ein Schauspielerlächeln auf, das wird mir ja wohl noch glücken.
Ich habe keine Lust mehr zu diesem Gespräch. Überhaupt keine.
Und ich habe keine Lust, durch den Regen in meinen Anbau zu rennen. Also gehe ich auf die Tür neben der Gesindestube zu. Um den Riegel zurückzuschieben, brauche ich beide Hände.
Ich habe mich nicht geirrt, da ist der Gang. Es riecht nach Mäusen und Schimmel. Ich taste an der Wand herum. Ein Lichtschalter auch hier, gut. Die nackte Glühbirne flammt auf, trübes Licht. Spinnweben an den grauweißen Wänden. Hier ist jahrelang nicht getüncht worden.
»Riegeln Sie hinter mir zu, bitte?«, sage ich in das völlig verdutzteGesicht Antons hinein, ehe ich verschwinde wie der Kasperl im Puppentheater, wenn die Versenkung sich auftut.
Die Tür auf der anderen Seite ist ja nach innen zu öffnen, zu diesem Gang hin. Ein Glück, dass ich die Flurgarderobe nicht wie der direkt an die Wand geschoben habe. Ich bin schmal, ich komme schon vorbei. Jetzt rücke ich sie wieder auf ihren Platz.
18
Dann, am Morgen darauf, träume ich erneut. Diesmal nicht so ein Kraut-und-Rüben-Zeug wie das letzte Mal. Obwohl: Logik hat es auch nicht.
Vielleicht ist es das eintönige Rauschen des Regens, das die Dichte meines Schlafs durchlässig macht und an die Oberfläche spült, was sonst wie hinter vielen Schlössern liegt. Vielleicht hat auch das Gespräch mit Anton diesen Traum ausgelöst. Ich kann aber nicht sagen, dass mich der Traum erfreut, als ich dann schließlich wach liege; draußen ist es noch dunkel und der Regen trommelt weiter auf das Dach und gurgelt in den Abflüssen.
Es war wieder mein Vater, der sich in meinem Traum vorgedrängt hat, wie schon das eine Mal auf Hermeneau. Da haben wir miteinander getanzt, weil ich eine Rolle am Jüdischen Theater bekommen hatte, da in jenem Traum. Was wir gerade jetzt miteinander getan haben, das ist schon wieder weg, daran kann ich mich kaum noch erinnern. Ich weiß nur, es war ein Wohlfühlen, mit ihm zusammen zu sein. Und – ja, jetzt sehe ich es vor mir und fahre im Bett hoch – er trug an seinem Anzug, an der Stelle, an der er in Berlin das Band des Ritterkreuzes hatte, das Mem, mit dem sich Felice geschmückt hatte. Ich lasse mich zurückfallen auf das Kissen und ziehe mir die Decke bis unters Kinn, obwohl ich jetzt richtig wach bin.
Was geht in deinem Kopf vor, Leonie?, frage ich mich selbst. Was sind das für merkwürdige
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